Angefangen hat alles im Sommersemester 2019, als Isha und Daniel Haselsberger im Rahmen eines Studios mit Anna Heringer nach Bangladesch kamen. Als das dort geplante Studioprojekt schlussendlich scheiterte, gründeten beide 2020 einen gemeinnützigen Verein, mit dessen Hilfe sie im Herbst 2021 in Bangladesch einen Begegnungsort erstellten. Aber dabei sollte es nicht bleiben, Isha und Daniel Haselsberger hatten in Bahuarwa, einem ländlichen Ort im indischen Bundesstaat Bihar bereits ein nächstes Projekt im Visier.
Im Frühjahr 2022 starteten sie die Zusammenarbeit mit einer lokal ansässigen NGO, die sich Kindern und Jugendlichen der Dalit annimmt, einer Gesellschaftsschicht, die aus dem Kastensystem ausgeschlossen ist. Diesen Kindern ist der Zugang zu Bildung verwehrt, da öffentliche Schulen gerade in abgelegeneren Regionen oft nicht funktionieren und eine private Ausbildung für die Eltern nicht finanzierbar ist. Daniel und Isha Haselsberger beschlossen, bei der Erstellung einer Schule zu helfen, die den Jugendlichen eine kostenfreie Ausbildung bietet, während die lokale NGO dafür den Betrieb der Schule gewährleistet. Im Februar 2023 wurde die Planung mit den Beteiligten vor Ort durchgeführt, die Finanzierung des Baus wurde durch private Gönner:innen und Liechtensteiner Stiftungen sichergestellt.
Traditionell wurde in der Region mit Lehm, Bambus und Stroh gebaut, doch werden diese Baumaterialien zunehmend als veraltet und stigmatisierend für die Bevölkerungsschicht der Dalit wahrgenommen und häufig zugunsten von Ziegeln, Zement und Beton aufgegeben. Daniel Haselsberger befasst sich in seiner Dissertation mit der sozialen Akzeptanz von Baumaterialien in der Region von Bahuarwa. Dabei untersucht er einerseits die Gründe für das Aufgeben traditioneller Bauweisen mit Lehm, Bambus und Stroh, andererseits die Art und Weise, wie sich die lokale Bevölkerung neue Bauweisen mit gebrannten Ziegeln, Zement und Beton aneignet.
Auf dieser Basis versucht er Schlüsse zu ziehen, wie traditionelle und neue Bauweisen miteinander kombiniert werden könnten. Ende September 2023 reisten Daniel und Isha Haselsberger für 3 Monate nach Indien, um den Neubau der Schule in Angriff zu nehmen. Der Bau erlaubte das konkrete Erproben einer angestrebten Hybridlösung traditioneller und moderner Bauweisen und spielte damit auch für die Forschung eine zentrale Rolle.
So wurde das Fundament der Schule mit gebrannten Ziegeln aus dem Dorf erstellt, die Tragstruktur hingegen aus Bambus. Die Innenwände wurden mit Lehm ausgefacht und die Aussenwände erhielten einen Zementputz. Beim Bauprozess waren weit mehr als20 Helfer*innen aus dem Dorf im Einsatz. Darunter auch viele Eltern und Grosseltern derjenigen Kinder, die die Schule nutzen werden. Drei Experten für zeitgemässes Bauen mit Bambus aus dem Bundesstaat Gujarat leiteten die Bambusarbeiten und zeigten der lokalen Bevölkerung neue Techniken. Auch das Holz für Fenster, Türen, Tische und Bänke wurde in der direkten Umgebung gefällt und bereits nach 3 Monaten war das Gebäude weitgehend fertiggestellt. Noch fehlen eine Photovoltaikanlage sowie einige Schreinerarbeiten, doch bereits jetzt, Anfang Februar 2024, kann die Schule für über 150 Kinder ihren Betrieb aufnehmen. Im kommenden Herbst werden Isha und Daniel Haselsberger ein weiteres Mal nach Bahuarwa reisen, um der Schule zusammen mit den Kindern und mithilfe von Farben und Lehm noch den Feinschliff zu verpassen.
Daniel Haselsberger erklärt: «Durch das Bauen nimmt die Forschung Gestalt an. Sie wird (be)greifbar für die Zielgruppen. Es kommt zu vielseitigen Gesprächen mit Planenden, Handwerkenden und Nutzenden, die in Form von ethnografischen Befragungen weitergeführt und festgehalten werden. Im Sinne einer Forschung durch Gestaltung (PhD by Design) dient der Schulbau somit als Methode. Er erfüllt jedoch einen weiteren, ebenso relevanten Zweck: Mit dem Ziel einer Dekolonisierung von Forschung in Kontexten des globalen Südens, verstehe ich Forschung als Kooperation, anstatt als einseitige Extraktion von Daten, die in Publikationen und Konferenzbeiträgen resultieren, aber keinen Mehrwert für die Betroffenen hinterlassen. Durch den Schulbau soll ein fairer Austausch und letztlich ein realer Mehrwert für die Zielgruppe entstehen.»