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Altersvorsorge in Zeiten von Nullwachstum

Die Wirtschaft wächst, die Löhne steigen, die Aussichten sind rosig – das war einmal. Heute hingegen steht Liechtenstein vor der grossen Aufgabe, sein Altersvorsorgesystem unter den aktuell ungünstigen demographischen und ökonomischen Entwicklungen zukunftssicher zu machen. An der Universität Liechtenstein befassen sich Forscher damit, wie Pensionskassen aufgebaut sind und vor welchen Problemen sie zurzeit stehen.

von Ass.-Prof. Martin Angerer und Prof. Michael Hanke

Eine Frage stellt sich Jung wie Alt: «Wie hoch wird meine eigene Pension einmal ausfallen?» Die Antwort darauf hängt von vielerlei Faktoren ab. Einige der wichtigsten davon sind: Auf welchen Säulen (umlagefinanziert/ kapitalgedeckt) ruht die eigene Altersvorsorge zu welchen Teilen? Wie entwickelt sich zukünftig die Bevölkerungspyramide, insbesondere das Verhältnis zwischen Rentnern und aktiv Erwerbstätigen? In welcher Höhe und ab wann wurden Beträge für die eigene Rente angespart? Wie hoch wird das Wirtschaftswachstum während meines Erwerbslebens und während meines Pensionsbezuges sein?

Umlagefinanziert oder kapitalgedeckt

Umlagefinanzierte Pensionssysteme wie die AHV verwenden die eingezahlten Beiträge der aktiv Erwerbstätigen (zuzüglich eines etwaigen steuerfinanzierten Staatsbeitrags) unmittelbar und direkt zur Finanzierung der Renten aktueller Pensionisten. Im Gegenzug für ihre Beiträge erwerben Beitragszahler einen Anspruch auf eine Rente in bestimmter Höhe. Diese hängt neben der Anzahl der Beitragsjahre auch vom Verhältnis der Zahl der Rentner zur Zahl der aktiv Erwerbstätigen ab: Verschiebt sich dieses Verhältnis in Richtung «mehr Rentner», müssen entweder Beiträge erhöht werden oder die Renten sinken.

Die Zeiten, in denen man die Verantwortung für die eigene Pension ganz dem Staat überlassen konnte, sind leider vorbei.

Im Unterschied dazu werden bei kapitalgedeckten Systemen die Beiträge der Zahler auf individuellen Konten geführt und bis zum Pensionsantritt von der Kasse veranlagt. Die erwirtschafteten Anlageerträge erhöhen das bis zum Pensionsantritt verfügbare Sparkapital (manchmal als «dritter Beitragszahler» bezeichnet).  Die Höhe der Pension hängt vom individuellen Sparkapital bei Pensionsantritt, vom Rentenantrittsalter und der Entwicklung der allgemeinen Lebenserwartung ab: Steigt diese, so werden die Renten geringer, weil das angesparte Kapital die Rente für einen längeren Zeitraum finanzieren muss.

Faktor Wirtschaftswachstum

Alle Pensionssysteme, unabhängig davon ob umlagefinanziert oder kapitalgedeckt, sind ganz wesentlich vom Wirtschaftswachstum abhängig. Bei umlagefinanzierten Systemen ist die Erhöhung von Beiträgen deutlich leichter möglich, falls aufgrund von spürbarem Wachstum die Reallöhne regelmässig steigen. Wenn die Wirtschaft hingegen stagniert und Löhne nicht angehoben werden können, führen Beitragserhöhungen zu Kürzungen des verfügbaren Einkommens und damit zu sinkendem Lebensstandard. Kapitalgedeckte Systeme hängen über die Anlageerträge vom Wirtschaftswachstum ab: Aktienkurse steigen dann, wenn Wirtschaftswachstum erwartet wird. Auch die Zinsen, die auf Anleihen bezahlt werden, sind letztlich wachstumsabhängig.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Systemen besteht darin, dass erstere vom Wachstum der lokalen Wirtschaft abhängig sind, während kapitalgedeckte Systeme ihre Anlagen weltweit investieren können und damit selbst bei einer Rezession im eigenen Land von anderswo vorhandenem Wachstum profitieren können. Altersvorsorgesysteme, die nicht ausschliesslich auf eine der beiden Säulen setzen, gelten daher als «wetterfester» bzw. sicherer als solche, in denen – wie z.B. in Deutschland oder Österreich – ganz überwiegend auf den umlagefinanzierten Teil gesetzt wird.

Das Vorsorgesystem Liechtensteins
Forscher der Universität Liechtenstein setzen sich zurzeit in einem regionalen Projekt mit dem Altersvorsorgesystem Liechtensteins auseinander. Ziel des Projekts ist es, das aktuelle System für die Bürger transparent und übersichtlich darzustellen und die Einflüsse des demographischen Wandels und der ökonomischen Situation zu untersuchen. Dabei stehen insbesondere das Zusammenwirken der drei Säulen, grenzüberschreitende Aspekte sowie das Aufzeigen möglicher Verbesserungspotenziale im Vordergrund.

Aktuelle Problemfelderder Pensionskassen

Das Umfeld für Pensionskassen in Europa ist zur Zeit so schwierig wie noch nie zuvor in ihrer Geschichte. Derzeit entwickeln sich alle relevanten Einflussgrössen ungünstig: Das Wirtschaftswachstum ist gering, wodurch es schwierig ist, Zustimmung für höhere Beiträge seitens der Beitragszahler zu bekommen, da dies zu spürbaren Einschnitten führt. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung, wodurch der Finanzierungsbedarf für die Renten steigt. Studien zeigen, dass sich die Lebenserwartung pro Jahr um etwa zwei Monate erhöht, was bei Nullwachstum, gleichbleibenden 

Beiträgen und gleichbleibender Rentenhöhe eine Erhöhung des Rentenantrittsalters um ein Jahr alle sechs Jahre erfordern würde. In Verbindung mit niedrigen Geburtenraten in entwickelten Industrieländern führt dies zu groben Verschiebungen in der Alterspyramide: Lag 2015 in Liechtenstein der Anteil der über 65-jährigen noch bei 16.3 %, so prognostiziert das Amt für Statistik bis zum Jahr 2050 einen Anstieg auf 26.8 %. Während 2005 noch fünf 20- bis 64-Jährige einem über 65-Jährigem gegenüber standen, sind es 2015 nur noch vier und im Jahr 2050 werden es, bei gleichbleibendem Pensionsantrittsalter, in etwa noch zwei Arbeitstätige sein, die einen Pensionisten erhalten müssen, was für die umlagefinanzierte AHV eine grosse Herausforderung darstellen wird.

Fehlendes bzw. zu geringes Wachstum sind Gift für alle Typen von Altersvorsorgeeinrichtungen!

Die kapitalgedeckten Pensionskassen der zweiten Säule kämpfen mit Zinsen für Anleihen nahe Null ( bzw. im Frankenraum sogar im negativen Bereich ) für lange Laufzeiten, und auch die erwarteten Renditen von Aktien bzw. anderen risikobehafteten Anlageklassen sind niedrig wie noch selten zuvor. Gleichzeitig pumpen Notenbanken wie die EZB massiv Geld in den Markt, das auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten die Preise riskanter Anlagen weiter in die Höhe treibt, damit deren Renditen weiter senkt und gleichzeitig die Gefahr für die Bildung von Kursblasen deutlich erhöht. In manchen Ländern wie z.B. der Schweiz kommt noch hinzu, dass über Jahre hinweg die Höhe der Renten von Neupensionisten nicht bzw. nicht ausreichend an die veränderten Parameter angepasst wurden, was zu groben finanziellen Schieflagen bei vielen Pensionskassen geführt hat die erst zum Teil sichtbar sind und sehr schwierig zu lösen sein werden.

Fazit

Die eingangs gestellte Frage «Wie hoch wird meine eigene Pension einmal ausfallen?» kann daher von niemandem präzise beantwortet werden, da alle Pensionssysteme von zumindest moderatem, aber vor allem nachhaltigem Wirtschaftswachstum abhängen. Derzeit ist nicht klar, ob die derzeitigen extrem niedrigen Wachstumsraten und Zinsen nahe Null eine temporäre Erscheinung sind, oder – wie es manche Ökonomen ausdrücken – «the new normal», also so etwas wie eine neue Normalität, die die gewohnten ca. 3 % durchschnittliches Wachstum pro Jahr abgelöst hat. Falls dem so ist, dann lautet die Antwort leider «deutlich niedriger, als du noch vor einigen Jahren erwartet hättest».

Über die Autoren
«Pension Finance» ist ein neuer Forschungsschwerpunkt von Prof. Michael Hanke und Ass.-Prof. Martin Angerer am Lehrstuhl für Finance. Seit Februar 2016 läuft dazu ein lehrstuhlübergreifendes Initialprojekt, dessen Ergebnisse nach Abschluss der Bevölkerung in Liechtenstein zur Verfügung gestellt werden. Weitere Projekte in diesem Bereich sind in Planung bzw. bereits beantragt.

*Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Mai 2016 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.