Aus der Sicht von Ingela Lindh ist das Ökoviertel Hammarby Sjöstad in Stockholm ein Erfolg, auch wenn nicht alle ökologischen Ziele erreicht worden sind. Künftig müsste allerdings das Verhalten der Nutzer stärker in Rechnung gestellt werden, sagt die schwedische Architektin.
Interview: Elana Caro
Sie haben am LISDAR-Kongress gesagt, Hammarby Sjöstad habe nicht alle Erwartungen erfüllt. Warum ist das so?
Ingela Lindh: Wir waren zu optimistisch, was den Besitz von Autos betrifft. Wir erwarteten nur 0,3 Autos pro Haushalt. Aber die Leute haben viel mehr Autos. Das hat die Parkplatzsituation aus den Angeln gehoben. Wir mussten viel mehr Parkplätze bauen als ursprünglich geplant.
Aber das Hauptproblem besteht darin, dass Hammarby Sjöstad mit dem verglichen wird, was heute möglich ist. Einige Leute sagen, dass der Energieverbrauch zu hoch ist. Aber ich denke, das ist falsch. Hammarby Sjöstad zeigt, was möglich war, als es gebaut wurde.
Ist der ökologische Fussabdruck von Hammarby Sjöstadt kleiner als der anderer Teile Stockholms?
Ja. Auch der Energieverbrauch pro Haushalt ist niedriger. Aber es kann mehr getan werden. Selbst wenn man das perfekte Haus baut, kann der Energieverbrauch noch immer hoch sein, weil die Leute morgens 40 Minuten lang duschen oder viel Strom brauchen. Das heisst, wir müssen stärker mit en Mietern zusammenarbeiten und sie informieren, wie sie ihren Verbrauch ändern können, um ihren Stromverbrauch zu senken.
Versuchen Sie die Zahl der Autos in Hammarby Sjöstad zu senken?
Es gibt eine Innenstadtmaut in Stockholm. Wer mit dem Auto in die Innenstadt fährt, muss zahlen. Eine der Folgen davon ist, dass Stockholm eine Stadt für Fahrradfahrer geworden ist. Das war vorher nicht der Fall. Die Einwohnerzahl Stockholms wächst rasch. Das heisst, wir müssen viel für den öffentlichen Verkehr tun. Stockholms öffentlicher Verkehr wird stark genutzt. Aber wir haben noch nicht genug investiert, um mit diesem Wachstum Schritt zu halten.
Wenn Hammarby Sjöstad heute gebaut würde, könnte es die ökologischen Ziele besser erreichen?
Definitiv. So haben wir gelernt, dass wir mehr über das Verhalten der Menschen nachdenken müssen, die im Viertel leben. Als wir mit Hammarby Sjöstad begannen, dachten wir, dass es keine Unterschiede geben sollte, ob man hier oder in einem anderen Viertel lebt. Heute ist uns völlig bewusst, dass wir den Leuten sagen müssen, sie zögen an einen Ort der Nachhaltigkeit und müssten daher mit weniger Autos rechnen und ein Interesse an diesen Themen mitbringen. In Hammarby Sjöstad haben wir das zu wenig gemacht.
Wurden die Leute nicht wegen des anderen Lebensstils von Hammarby Sjöstad angezogen?
Das ist vielleicht heute der Fall. Aber das war nicht von Anfang an so. Die Leute zogen nach Hammarby Sjöstad, weil es ein attraktives Viertel in Stockholm war, unabhängig davon, dass es nachhaltiger ist als andere Viertel. Der Ort selber war attraktiv. Wenn heute Leute dahin ziehen, dann sind sie sich stärker bewusst, dass es sich um ein nachhaltiges Viertel handelt. Sie sind deshalb stärker daran interessiert.
Verglichen mit Ihren Erwartungen vor fünfzehn Jahren, ist Hammarby Sjöstadt ein Erfolg?
Ja, auf jeden Fall. Es ist ein sehr attraktives Viertel in Stockholm, die Leute woollen wirklich hier leben. Wir haben viele Familien, die auch nach ihrem zweiten oder dritten Kind hier bleiben, statt ein Haus in einem Vorort zu kaufen, wie es so viele Familien in Stockholm tun.
Als wir über Hammarby Sjöstad zu sprechen begannen, waren die Immobilien- und die Baubranche nicht erfreut, dass es ein Viertel mit nachhaltigen Gebäuden sein sollte. Heute gibt es solche Dikussionen nicht mehr. Heute ist es selbstverständlich für jeden Immobilienentwickler, auch über Nachhaltigkeit nachzudenken. Hammarby Sjöstad hat einen Wandel im Denken dieser Branchen ausgelöst.
Kann Hammarby Sjöstadt auch das übrige Stockholm beeinflussen, das ja schon zu einem guten Teil gebaut ist?
Wir wenden die Erfahrungen von Hammarby Sjöstad auch in zwei Gebieten an, die wir derzeit entwickeln. Eines ist der Königliche Seehafen im nördlichen Teil der Innenstadt. In diesem Gebiet versuchen wir noch weiter zu gehen als in Hammarby Sjöstad. Allerdings ist der Königliche Seehafen etwas besonderes.
Aber auch überall sonst wenden wir an, was wir in Hammarby Sjöstad gelernt haben. So hat das Unternehmen, das ich leite (Stockholmshem, eine der grössten Immobiliengesellschaften Schwedens, ec), das erste Passivhaus Schwedens gebaut. Das wäre ohne Hammarby Sjöstad nicht möglich gewesen.
Welche Rolle spielen Regierungen und Stadtplaner beim Bau von Ökovierteln?
Sie spielen eine wichtige Rolle, weil ganz verschiedene Anforderungen erfüllt werden müssen, welche die Gesetzgebung, die Finanzierung und auch soziale Aspekte betreffen. Wenn man etwas schaffen will, das nicht nur mit Geld zu tun hat, braucht es eine starke staatliche Kontrolle. Es geht immer auch um wirtschaftliche Interessen. Aber wenn allein der Markt kontrolliert, dann geht es im schlimmsten Fall nur darum. Wenn der Staat beteiligt ist, sind andere Interessen ebenso wichtig.
Regierungen wechseln. Wird es schwieriger, wenn eine neue Regierung Nachhaltigkeit nicht mehr so wichtig nimmt? Oder ist Nachhaltigkeit so sehr in den Köpfen, dass Regierungswechsel keine Rolle mehr spielen?
Das zweite trifft zu. Die Stadtregierung Stockholms wechselt oft bei jeder Wahl, aber das hat keine Auswirkungen. Alle gehen davon aus, dass wir weiterhin die Ziele anstreben sollen, die wir mit Hammarby Sjöstad gesetzt haben.
Ingela Lindh, born 1959, is a Swedish architect and former Head of Stockholm City Planning Administration. Since 2009, she is the CEO of Stockholmshem, one of the largest housing companies in Sweden. Lindh graduated as an architect at the Royal Institute of Technology, KTH, and worked as a practising architect before she began in Stockholm city service. From 1991-1996, she was a political advisor for the Mayor and vice Mayor of Stockholm.