Wie lässt sich sanfter Tourismus in der Liechtensteinischen Walsersiedlung beleben, ohne die Identität des Ortes zu verleugnen? Dieser Frage sind Architekturstudierende der Universität Liechtenstein zusammen mit Ihren Dozenten Professor Conradin Clavuot und Martin Bühler nachgegangen und haben unterschiedliche Antworten gefunden.
Idyllisches Maiensäss soll mehr Touristen locken
Architekturstudenten der Uni Liechtenstein wollen sanften Tourismus nach Steg bringen
Fragt man die Bewohner von Steg in Liechtenstein, was sie an ihrer Siedlung am meisten schätzen, dann sind das Ruhe, Erholung und Abgeschiedenheit. Die ringförmige Häuserreihe von Gross- und von Kleinsteg auf rund 1300 Meter ü. M. am Eingang des Saminatals ist in ihrer Art einmalig und erhaltenswert. Doch auch hier bleibt die Zeit nicht stehen, werden Tourismusfragen immer drängender: Wie lässt sich sanfter Tourismus in der Walsersiedlung beleben, ohne die Identität des Ortes zu verleugnen?
Diesen Fragen sind Architekturstudierende der Universität Liechtenstein zusammen mit Ihren Dozenten Professor Conradin Clavuot und Martin Bühler nachgegangen und haben unterschiedliche Antworten gefunden.
Verdichtung am Stausee
Eine Projektgruppe um den Architekten Martin Bühler hat Möglichkeiten aufgezeigt, wie dem Wunsch nach zusätzlichen Ferienhäusern entsprochen werden kann, ohne den aussergewöhnlichen Charakter der Maiensäss-Siedlung von Steg zu zerstören. Beispielhaft für dieses Anliegen steht die Arbeit von Sarah Hermann. Auf raffinierte Art und Weise gelingt es ihr, Bilder von traditionellen Walser Streusiedlungen mit Vorstellungen zeitgenössischer Urlaubswelten zu verbinden. Ausserhalb der historischen Ringe von Steg erschafft sie einen Ort mit hohem Erkennungswert und starker Identität. Der Erweiterungsdruck auf Steg wird kanalisiert und das aussergewöhnliche Walser Baudenkmal kann somit erhalten werden. Die Vaduzer Architekturstudentin (24) kennt die Walser-Siedlung von Kindesbeinen an und weiss um deren Besonderheit. Eine Punktverdichtung innerhalb des Bestandes oder gar eine zweite Häuserreihe kam für die Bachelor-Studentin deshalb nicht in Frage. Der Charakter der ursprünglichen Siedlung würde ihrer Meinung nach damit verfälscht. «Das Projekt war für mich eine grosse Herausforderung. Auf der einen Seite wollte ich meiner Kreativität freien Lauf lassen, auf der anderen Seite die traditionellen Vorstellungen der Steger berücksichtigen. Diese beiden Extreme ins Gleichgewicht zu bringen, war eine echte Gratwanderung.»
Sarah Hermann: Schnittplan
Innere Ruhe aufspüren
Hermanns Prototyp für ein Ferienhaus ist nicht mehr ein traditionelles Gebäude mit einzelnen Räumen. In Anlehnung an Walser Streusiedlungen wird der Grundriss aufgesplittert und zu einem Ensemble von Häusern gemacht. Ihr Ferienhaus wird zum Dorf, in dem jedem Gebäude eine bestimmte Nutzung zugeordnet wird. Die Bewohner bewegen sich darin vom Öffentlichen ins Private und erfahren das Wohnen in einer neuen Dimension. Je tiefer man in das Gebäude eintaucht, desto mehr findet man Ruhe und Besinnlichkeit. So kann ein Steger Urlaubsgefühl entstehen, das jenseits aller 5-Sterne-Hotelketten-Romantik liegt. Bei ihrem Ferienhaus hat sich Sarah Herrmann für eine leichte Bauweise mit einer Holzrahmenkonstruktion entschieden. Verkleidet wird das Ganze mit horizontalen Lärchenlatten. Lediglich das Badezimmer ist als verputztes Mauerwerk massiv gebaut.
Grundriss
Öffentliche Gebäude integrieren
Ganz anders die Aufgabenstellung von Professor Conradin Clavuot. Seine Studenten haben sich auch mit Fragen der Siedlungserweiterung beschäftigt, sind in ihren Entwürfen aber vor allem auf die subtile Platzierung und Integration neuer Gebäude in Steg eingegangen. Mierta Feuerstein (26) aus Zuoz im Engadin hat ihre Käserei, das Sportlerzentrum und das kleine Hotel mit Restaurant an der Hauptstrasse nach Malbun zwischen Gross- und Kleinsteg angesiedelt. Ihre Heizzentrale bildet als Plattform das Verbindungsstück zwischen beiden Genossenschaften. Damit will sie auch weiterhin den Lärm von Wohn- und Ferienhäusern fernhalten.
Entwurf Mierta Feuerstein: Aussenperspektive Heizzentrale
Neue Architektur in traditionellem Gewand
Die Masterstudentin hat sich vor allem mit der Kultur und dem Charakter Stegs auseinandergesetzt und versucht, ihre Häuser durch Höhe, Dachform und Fassadengestaltung in die bestehende Siedlungsstruktur einzugliedern und die Identität des Ortes zu erweitern. Nach eingehender Recherche ist Mierta Feuerstein bei der traditionellen Blockbauweise geblieben, welche sie für die neuen Gebäude angepasst und als formgebendes Element verwendet hat. Eben diese Blockbauweise findet sich auch bei den umliegenden Ferienhäusern wieder. Der Rohstoff Holz ist in der näheren Umgebung ausreichend vorhanden. Die Käserei – ein schmales, höheres Haus – bietet im Obergeschoss Räumlichkeiten für den Käser und kann in der Nebensaison als Wohnraum für Hotelgäste vermietet werden. Ausserdem soll das 4-geschossige Hotel sowohl Zwei- als auch Mehrbettzimmer beherbergen. Die grosszügigen Gänge bieten Raum für kleine Bibliotheken und Aufenthaltsmöglichkeiten. Das 3-geschossige Sportlerzentrum bietet Möglichkeiten zum Duschen und Gelegenheit, die Kleidung zu wechseln. Das oberste Geschoss ist den Liechtensteiner Langläufern vorbehalten. Hier könnten entweder Gemeinschaftsräume oder Lagermöglichkeiten geschaffen werden. «Ich habe versucht, durch das Transformieren von bestehenden baugeschichtlichen und kulturellen Elementen meinen Gebäuden einen eigenen Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig sollen sie sich an die bestehenden Verhältnisse anpassen und sie nicht stören.»
Innenperspektive Wohnung Käserei
Ganzjährige Nutzung
Die Heizzentrale, die man auf den ersten Blick nur am Kamin erkennt, versorgt die Siedlung auch im Winter mit Wärme und Heisswasser. Somit könnte der Tourismus sommers wie winters florieren. «Durch die Verbindung von zwei Brücken entsteht eine Plattform, welche als öffentlicher Raum und temporärer Parkplatz genutzt werden kann», so die Architektin. Als Rohstoff zur Wärmegewinnung dienen Holzschnitzel. Die Energie gelangt über Rohre zu den Häusern. Immer wieder zieht die Bündnerin Parallelen zu ihrem Heimatort Zuoz. Dort sind in den letzten Jahren Gebäude entstanden, die keinen Bezug zur ursprünglichen Baugeschichte und Baukultur haben. Sie wirkten leer und losgelöst von ihrer Umgebung und werden nur von Touristen angenommen. Für die Einheimischen sei etwas verloren gegangen. Deshalb habe sie ihren Modellen Charakter und kulturelles Leben einhauchen wollen.
Fokus Siedlungserweiterung mit neuen Gebäuden
Gesamtsituation
Zwei Projekte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei Projekte, die zeigen, wie vielgestaltig sanfter Tourismus in Steg aussehen könnte, ohne die Identität des Ortes zu verletzen.
Medienmitteilung und Fotos
20121024_ArchitekturEntwurfsstudio_Liechtenstein_MM_unili.pdf
Sarah-Hermann_Schnittplan.pdf
Sarah-Hermann_Grundrissplan.pdf
Mierta-Feuerstein_Innenperspektive-Wohnung-Kaeserei.jpg
Mierta-Feuerstein_Aussenperspektive-Heizzentrale.jpg
Mierta-Feuerstein_Fokus-Siedlungserweiterung.jpg
Mierta-Feuerstein_Gesamtsituation.jpg