Eindeutige, fixe Verortung von Identität ist im Alltag längst von einer manchmal als etwas mühselig erfahrenen Auseinandersetzung mit ganz unterschiedlichen Identitätsentwürfen abgelöst worden. Doch all den dynamischen und globalen Verschränkungen zum Trotz oder gerade auch damit verbunden, werden Fragen nach nationalen und kollektiven Zugehörigkeiten, damit gepaarten politischen und ästhetischen Symbolen und Praktiken als Abgrenzung und Zugehörigkeit diskutiert. In diesem Spiel von fremd und eigen lässt sich auch die Frage nach Stolz, Identifikation und Bindung an ein Land lesen.
Liechtenstein: Stolz und Zugehörigkeit
Unter den Befragten ist der Stolz darauf, Liechtensteinerin oder Liechtensteiner zu sein, sehr gross (siehe Tabelle 44). 30 Prozent sind diesbezüglich «sehr stolz», weitere 30 Prozent «stolz». Lediglich 5 Prozent sind «eher nicht stolz», 2 Prozent «gar nicht stolz». Knapp jede oder jeder fünfte Befragte, nämlich 18 Prozent, wählt die Mittelkategorie
«teils/teil». 15 Prozent der Befragten geben an, keine Liechtensteinerin oder kein Liechtensteiner zu sein.
«Sind Sie stolz ein Liechtensteiner/eine Liechtensteinerin zu sein?»
Zunächst hat die politische Einstellung eine Auswirkung darauf, inwieweit die Befragten einen Stolz auf ihr Land ausdrücken. So sind 82 Prozent der konservativ-traditionellen Befragten stolz darauf, Liechtensteinerin oder Liechtensteiner zu sein, bei den Sozial-Liberalen sind es etwas mehr als die Hälfte, nämlich 53 Prozent, bei den Grün-Progressiven 42 Prozent (diese Gruppe hat mit 10 Prozent den höchsten Anteil an Personen, die «eher nicht» oder «gar nicht» stolz sind). Die letzte Gruppe hat mit 24 Prozent auch den höchsten Anteil an Personen, die angibt, keine Liechtensteinerin oder kein Liechtensteiner zu sein. Bei den sozial-liberalen Befragten sind es 17 Prozent, bei Konservativ-Traditionellen 8 Prozent.
Blickt man auf das schichtspezifische Antwortverhalten, zeigt sich folgendes Bild: Hier drücken 37 Prozent der Personen aus der unteren Schicht einen Stolz aus, Liechtensteinerin oder Liechtensteiner zu sein, bei der mittleren Schicht sind es 67 Prozent, womit der Anteil höher als bei der oberen Schicht liegt, in der er 64 Prozent beträgt. Stellt man die Frage nicht nach dem Stolz, sondern nach der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, zeigt sich, dass sich weniger als zwei Drittel im Vergleich als Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner sehen (siehe Tabelle 45). 59 Prozent der Befragten geben an, sich in erster Linie als Liechtensteinerin oder Liechtensteiner zu fühlen. Einer grösseren Einheit zugehörig fühlt sich ein Viertel: 12 Prozent sehen sich hauptsächlich als Europäerin oder Europäer, 13 Prozent als Weltbürgerin oder Weltbürger. Mit dem Wohnort identifizieren sich 5 Prozent: sie geben an, sich in erster Linie als Bürgerin oder Bürger ihres Wohnortes zu fühlen. 6 Prozent fühlen sich als Bürgerinnen und Bürger ihres Heimatlandes. 4 Prozent kann sich für keine dieser vorgegebenen Varianten entscheiden.
«Man kann sich verschiedenen Gruppen zugehörig fühlen, als was sehen Sie sich in erster Linie?»
Wie bei der Frage nach Stolz gibt es auch bei der Frage nach der Zugehörigkeit Unterschiede nach der sozialen Schicht, der politischen Einstellung und dem Migrationshintergrund. So empfinden sich relativ gesehen am ehesten Befragte aus der mittleren Schicht als Liechtensteinerin und Liechtensteiner, ebenso Befragte mit einer konservativ-traditionellen politischen Einstellung und Befragte ohne Migrationshintergrund.
Das Bild von Liechtenstein
Das Bild, das die Befragten von Liechtenstein haben, ist generell ein sehr positives. Bei lediglich zwei der 13 vorgelegten Aussagen stimmen 10 Prozent der Befragten «eher nicht» oder «gar nicht» zu (siehe Tabelle 46).
«Was denken Sie zu folgenden Aussagen über Liechtenstein?» Liechtenstein ist ein Land…
Am häufigsten stimmen die Befragten mit der Meinung überein, dass Liechtenstein ein Land mit schönen Landschaften ist; die ästhetischen Vorzüge und Bewertungen sehen 96 Prozent, die eher zu beziehungsweise voll und ganz der Aussage zustimmen. Ebenso eine hohe Zustimmung erhalten Aussagen, die eine soziale Dimension aufweisen: Liechtenstein wird als ein Land betrachtet, das persönliche Bekanntschaften fördert. Es ist zudem ein Land, in dem man sich sozial abgesichert weiss, ein Wert, der den jungen Menschen wie oben bereits beschrieben, sehr wichtig ist. Vor Kriminalität ist man in Liechtenstein nach Ansicht von 86 Prozent geschützt – ein Sachverhalt, der für die soziale Sicherheit äussert relevant ist.
Auf den weiteren Plätzen folgt die Zustimmung zu Aussagen aus dem Bereich der Wirtschaft: für 82 Prozent der Befragten gehört zum Bild Liechtensteins eine starke Wirtschaft, 79 Prozent sehen gute Entwicklungsmöglichkeiten als Bestandteil des Landes, die gleiche Anzahl nennt fleissige und arbeitssame Menschen, die Liechtenstein ausmachen. Etwas weniger gross ist die Zustimmung zur politischen Partizipation. Am Ende der Skala findet sich das Ansehen Liechtensteins: dass das Land einen guten Ruf hat, halten nur 58 Prozent für zutreffend, dass es ein Vorbild für andere Länder ist, empfinden 57 Prozent als richtig. Am grössten ist der Widerspruch bei der Aussage, dass man in Liechtenstein so leben kann, wie es einem gefällt; hier widersprechen 21 Prozent.
Geschlechtsspezifische Unterschiede finden sich bei der Einschätzung der starken Wirtschaft: hier sind männliche Befragte zustimmender als weibliche Befragte, insbesondere weil junge Frauen öfters die «Weiss nicht»-Kategorie wählen. Ebenso sind junge Frauen vorsichtiger bei der Einschätzung, dass Liechtenstein ein Land mit reichen Menschen ist.
Schichtspezifische Unterschiede zeigen sich in zweifacher Hinsicht: Befragte aus der unteren Schicht sind in geringerem Masse der Meinung, dass Liechtenstein ein Vorbild für andere Länder ist. Befragte der mittleren Schicht sind relativ seltener der Ansicht, dass das Bild von Liechtenstein von reichen Menschen bestimmt wird.
Unterscheidet man das Antwortverhalten hinsichtlich der politischen Einstellung, zeigt sich, dass Konservativ-Traditionelle eher als Sozial-Liberale und Grün-Progressive der Meinung sind, dass Liechtenstein ein Land mit schönen Landschaften ist. Auch sind sie eher überzeugt, dass Liechtenstein ein Land ist, in dem man politisch mitbestimmen kann und das ein Vorbild für andere Länder ist.
Zwischen Einfluss und Bedeutungslosigkeit
Die Mehrheit der Befragten sieht die Rolle Liechtensteins in der Welt als relativ gering an. Für 57 Prozent spielt das Land eher oder kaum eine Rolle (siehe Tabelle 47).
«Denken Sie, dass Liechtenstein heute unter den Ländern dieser Welt eine wichtig oder keine wichtige Rolle spielt?»
Die Befragten schätzen ein, dass das Ansehen des Landes in den letzten Jahren eher grösser als geringer geworden ist (siehe Tabelle 48).
«Denken Sie, dass das Ansehen von Liechtenstein in den letzten Jahren grösser geworden ist oder nicht?»
Bei Fragen zur Rolle Liechtensteins in der Welt (siehe Tabelle 49) wird deutlich, wie wichtig ein gutes Verhältnis mit der Schweiz eingeschätzt wird. Auch eine Beziehung mit den Nachbarländern wird von nahezu allen Befragten als wichtig erachtet. Deutlich geringer ist die Zustimmung, dass die EU eine wichtige Partnerin für das Land darstellen würde, hier stimmen knapp 60 Prozent zumindest eher zu.
«Was meinen Sie zu folgende Aussagen über Liechtenstein und seine Rolle in der Welt?»
Neue Nachbarinnen und Nachbarn?
Das Verhältnis Liechtensteins mit der Welt umfasst nicht nur institutionelle und staatliche Aspekte. Die Frage, wie offen das Fürstentum sein soll, wie durchlässig es seine Grenzen organisieren soll, ruft ebenso «persönliche» Stellungnahmen und Haltungen hervor, insbesondere in einer Zeit, in der der öffentliche Diskurs stark vom Thema Migration bestimmt wird.
Die Online-Umfrage zeigt diesbezüglich eine ausgewogene Stimmung. Knapp die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass die vorherrschende Art und Weise, Zuwanderinnen und Zuwanderer aufzunehmen, beibehalten werden soll: 46 Prozent antworten mit «Wie bisher» auf die Frage, ob Liechtenstein künftig mehr, genauso viele oder weniger Zuwandererinnen und Zuwanderer aufnehmen sollte. Etwa ein Fünftel, 21 Prozent, spricht sich für eine Ausweitung der Quote aus, die gleiche Anzahl spricht sich dagegen aus. 12 Prozent wählen die «Weiss nicht»-Antwort. Signifikant unterscheidet sich das Antwortverhalten je nach politischer Einstellung. Während grün-progressive Befragte zu 38 Prozent angeben, dass «mehr als bisher» Zuwanderinnen und Zuwanderer aufgenommen werden sollen, sagt dies nur ein Zehntel derer mit konservativ-traditioneller Einstellung; im sozial-liberalen Spektrum sind es 18 Prozent. Hingegen sind 41 Prozent der Konservativ-Traditionellen der Meinung, dass es «weniger als bisher» Zuwanderung geben soll. Bei den Grün-Progressiven liegt der Anteil bei 6 Prozent; Sozial-Liberale geben dies zu 14 Prozent an.
Ähnlich antworten die Befragten, wenn nicht nach der Aufnahme von Zuwanderinnen und Zuwandern gefragt wird, sondern nach der Aufnahme von Flüchtlingen. Auch hier ist fast die Hälfte, 44 Prozent, für ein Beibehalten der jetzigen Situation. Ein Viertel, 25 Prozent, sind für eine Ausweitung, 23 Prozent gegen eine zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen. 8 Prozent sind unentschlossen. Ebenso wie bei der vorherigen Frage ist das Antwortverhalten von der politischen Einstellung abhängig: 40 Prozent der Grün-Progressiven sind für eine Ausweitung, 30 Prozent der Sozial-Liberalen, 9 Prozent der Konservativ-Traditionellen. 47 Prozent der Konservativ-Traditionellen sind hingegen dafür, dass «weniger als bisher» der Zuzug von Flüchtlingen gestattet sein soll.
Von Zuwanderung, ob von Migrantinnen und Migranten oder von Flüchtlingen, sind viele in ihrer Lebenswelt nicht unmittelbar betroffen. Ziehen andere Menschen in die unmittelbare Nachbarschaft, nimmt die Betroffenheit zu. Tabelle 50 zeigt die Reaktionen der Befragten auf die Frage, wie sie es fänden, wenn in der Wohnung oder im Haus nebenan eine bestimme Gruppe Menschen einziehen würde.
«Wie fänden Sie es, wenn in der Wohnung oder im Haus nebenan folgende Menschen einziehen würden?»
Auffallend ist zunächst die indifferente Haltung, die den hypothetischen «Neuankömmlingen» entgegengebracht wird. Mehr als die Hälfte antwortet bei jeder abgefragten Personengruppe mit «Wäre mir egal». Bei einem genauen Blick wird jedoch deutlich, dass manche Personengruppen kontrovers gesehen werden. So nimmt mit 29 Prozent eine Wohngemeinschaft mit vielen Studierenden zwar den ersten Platz bei der Zustimmung ein, knapp ein Fünftel ist einer solchen Nachbarschaft gegenüber jedoch negativ eingestellt. Bei einem alten Rentnerehepaar ist die Zustimmung um etwa 1 Prozentpunkt niedriger als bei Studierenden, dafür fänden nur 5 Prozent der Befragten solche Nachbarn als nicht so gut. Ebenso geringe negative Reaktionen gibt es auf ein homosexuelles Paar (4 Prozent Ablehnung) und eine Familie mit dunkler Hautfarbe (5 Prozent). Am negativsten ist die Stimmung gegenüber einer syrischen Flüchtlingsfamilie, was etwas mehr als ein Viertel der Befragten als «nicht so gut» empfinden würde. Bei einer türkischen Familie liegt die Ablehnung bei 22 Prozent.