„Wenn Typus das Allgemeine bedeutet, dann bedeutet Topos das Individuelle, das Besondere und Einmalige. Wenn der Typus verständliche Strukturen und eine Idealordnung erzeugt, dann stört und verändert sie der Kontext. Die kontextuellen Besonderheiten sind nur am jeweiligen Ort gültig und relevant. Tendiert der Typus zum Idealen, so konfrontiert uns der Topos mit der Realität.“
(Tomas Valena, “Beziehungen”, Berlin 1994)
Liechtenstein wächst zusammen. War das Land bis vor siebzig Jahren noch von bäuerlichen Dörfern und einer flächenintensiven Landwirtschaft geprägt, so hat ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung mit dem Wachstum der Industrie nach dem zweiten Weltkrieg und der Entwicklung hin zu einem Bankenplatz und Ort für Finanzdienstleistungen gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Landschaft grundlegend verändert. Nicht mehr klar ablesbare Ortskerne dominieren heute das Bild des Rheintals, sondern grosszügig gestreute Siedlungsflächen ohne erkennbare Strukturierung. Die Dorfkerne werden von eigentlichen Speckgürteln ummantelt , die primär aus Einfamilienhäusern auf engen Parzellen und kleinen Mehrfamilienhäusern bestehen. Der Flächenbedarf ist immens, der ortsbauliche Zusammenhalt minimal. Die Agglomeration ist auch in Liechtenstein zur Tatsache geworden, der Tankstellenshop hat wesentlich mehr Publikum wie der Kirchenvorplatz. Die Grenzen der einzelnen Gemeinden werden sich wohl in Zukunft nicht mehr zuverlässig ablesen lassen und die Bebauung des Tals mit einem urban sprawl ist absehbar. Wie diese Entwicklung an den Rändern weiter verläuft, ist ungewiss. Umso wichtiger ist das Augenmerk auf das Zentrum und dessen nachhaltige Verdichtung.
Wie kann der Geist des Ortes in einer neuen Bebauung weiterbestehen und neu definiert werden? Der Kern von Eschen ist intakt und belebt, Läden, Cafés sind vorhanden und werden frequentiert, der öffentliche Verkehr funktioniert. Das Zentrum verfügt zweifellos über Qualitäten, wer hier wohnt, profitiert von einem reichhaltigen Angebot. Die Gemeinde hat die St. Luzi Strasse, welche das Dorfzentrum mit der grossen, quer zum Tal verlaufenden Verbindungsstrasse verbindet, als Dienstleistungsmeile definiert. Hier liegt ein Bauernhaus, gebaut vor rund hundert Jahren, mit angebautem Wohnhaus. In Eschen sind einige dieser landwirtschaftlichen Bauten noch vorhanden, die allermeisten un- oder umgenutzt. Wer ins Innere der Scheune tritt, findet einen weiträumigen Innenraum vor, der von einer soliden Holzkonstruktion gehalten wird und von kaum einem Fenster erhellt wird, nur über das offenen Tennentor dringt Licht hinein. Ein als purer Nutzraum gebautes Gehäuse für Heu, das heute weniger als historischer Objekt interessant ist, sondern als Raum mit fantastischer Firsthöhe und Volumen. Diesen Bau zu erhalten und wiederzubeleben hat nicht nur mit emotionalen Komponenten zu tun, gleichzeitig profitiert der Ortskern davon, wenn einzelne dieser Zeitzeugen noch fortbestehen können. Die neue Bebauung muss sich an der Selbstverständlichkeit der alten Tenne messen, daran wie sie klar einen Ort definiert und wie sie ihren Raum besetzt. Nicht umsonst hiess das Semesterthema des Instituts „Suffizienz“: Genügsamkeit soll als Leitgedanke die Entwürfe der Studierenden prägen.
Das Wohnen im Alter zurück in die Dorfzentren zu bringen, macht auf vielen Ebenen Sinn. Nachdem die Kinder ausgeflogen sind, wird das Einfamilienhaus zu gross, der Garten mühsam zu bewirtschaften. Zurück ins Zentrum zu ziehen, ist zeitgemäss, gibt Raum frei für Familien, die den Rand und die Lage im Grünen suchen und nimmt damit den Druck von den Siedlungsrändern. Genügsam ist es, zentral zu Wohnen, dort, wo das Angebot an Infrastruktur vielen dient. Hier ist Austausch möglich, aber auch Hilfe nahe, Dichte ist hier positiv besetzt. Gesucht sind nicht Altersghettos, sondern eine durchmischte Bewohnerschaft, die Gemeinsamkeiten sucht. Ziel unseres Auftraggebers war, dass insbesondere der Aspekt “Bauen für Alle” berücksichtigt wird, flexible Wohnräume und Einrichtungen sollten berücksichtigt und eigenständiges und selbstbestimmtes Wohnen möglich werden. Gemeinschaftsräume sind in einer solchen Wohnkonzeption selbstverständlich, ebenso wie ein stufenloser Übergang vom Wohnen mit Service zum Wohnen mit Betreuung. Im Verlauf des Semester s haben sich insbesondere gemeinsame Aussenräume, Veranden und überdachte Loggien als Orte des Austauschs entwickelt. Die Beziehung dieser halbprivaten Aussenräume zu Hofräumen hat sich als besonders spannend herausgestellt. Alle Projekte aber geben Antworten auf die Fragen nach der Nachbarschaft im Zentrum und versuchen sie unterschiedlich zu interpretieren. Nachbarschaft im doppelten Sinne, eine der Bauten und eine der Bewohner.