uni.liThemaWirtschaftsrechtNeuigkeitenID Intensiv VIII – Aktuelle Reformentwicklungen und Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche: Nachbericht zum achten Teil der Veranstaltungsreihe Insurance Distribution.

ID Intensiv VIII – Aktuelle Reformentwicklungen und Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche: Nachbericht zum achten Teil der Veranstaltungsreihe Insurance Distribution.

Der Lehrstuhl für Bank- und Finanzmarktrecht lud am 16. März 2022 zum achten Teil der Veranstaltungsreihe Insurance Distribution «ID-Intensiv» ein. Die Fortbildungsveranstaltung widmete sich zwei Oberthemen: aktuelle Reformentwicklungen und Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche. Näher beleuchtet wurde dabei der im September 2021 von der EU-Kommission veröffentlichte Richtlinienentwurf im Zusammenhang mit dem Solvency-II-Review, sowie die Teilrevision des VAG in der Schweiz.
Dieter Pscheidl, MSc – Sustainability im Versicherungsbetrieb

Dieter Pscheidl leitet seit 2016 den Bereich «European Affairs and ESG» in der Vienna Insurance Group und sein Vortrag zum Thema «Sustainability im Versicherungsbetrieb» bildete den Auftakt der Veranstaltung. Die TeilnehmerInnen erhielten einen Einblick in das «Sustainable Finance»-Legislativpakte der Europäischen Kommission und eine übersichtliche Darstellung der für die Versicherungsbranche relevanten Zielvorgaben. Dieter Pscheidl betonte, dass von öffentlicher Seite ein klares «Commitment zur Klimaneutralität» kommuniziert werde und private Kapitalflüsse in «nachhaltige Investition» gelenkt werden sollen. Die Kommission stelle der Praxis ein «Lexikon für Nachhaltigkeit» bereit – die sogenannte «EU-Taxonomie». Für die Versicherungsbranche besonders relevant sei die Einhaltung der Transparenzvorschriften im Sinne der ESG-Verordnung. Dieter Pscheidl deutete darauf hin, dass die EU-ESG-Regulatorik sich über die nächsten Jahre noch verschärfen werde und ab 2024 von einer Verfünffachung der Anzahl an Unternehmen, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen, auszugehen sei. Eine Sensibilisierung für das Thema Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche sei aus diesem Grund umso wichtiger.

PD Dr. Dominik Schäfers, LL.M. – Embedded Insurance: Aufsichtsrechtliche und privatversicherungsrechtliche Fragen

Dominik Schäfers ist seit 2020 Inhaber der Entlassungsprofessur für Zivilrecht an der
Goethe-Universität Frankfurt. In seinem Vortrag widmete er sich einem der derzeit größten Trends in der Versicherungsbranche: dem «Embedded Insurance» (EI). Dabei handelt es sich um die Einbettung/Integration eines Versicherungsprodukts in bestehende Nicht-Versicherungsprodukte oder bestehende (Verkaufs-)Prozesse. Eine «Life-Einbettung» des Versicherungsprodukts erfolgt in der digitalen Welt über «API-Schnittstellen». Dies habe den Vorteil, dass eine «nahtlose Einbettung» in die Infrastruktur des Drittanbieters möglich sei. Dies führe dazu, dass eine Ansprache des potenziellen Versicherungsnehmers am «Point-of-Sale» erfolgen könne. Aus aufsichtsrechtlicher Sicht stelle sich die Frage, wie sich eine solche Konstellation auf das Verbot «versicherungsfremder Geschäfte» (Art 24 lieVersAG, Art 11 chVAG, § 15 dVAG) auswirkt. Sollte ein Versicherungsunternehmen über den Versicherungsschutz hinaus zusätzliche, damit verbundene Produkte (z.B. Telematik-Produkte) oder Assistance-Leistungen anbieten, sei dies nach Ansicht von Dominik Schäfers grds aufsichtsrechtlich zulässig, es sei denn, das überlassene Produkt diene schwerpunktmäßig einem anderen Zweck als der Versicherung selbst. Problematisch sei es auch dann, wenn die Telematikprodukte oder Serviceleistungen Personen angeboten werden, die nicht zugleich einen Versicherungsvertrag beim Versicherungsunternehmen abschließen. Dominik Schäfers erörtete wie mit privatversicherungsrechtlichen Pflichten iSd Art 24 Abs 3 IDD-RL umzugehen sei und ging dabei näher auf die Informationspflichten bei Querverkäufen, Beratungspflichten sowie auf die vorvertragliche Risikoprüfung ein.

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Heiss – Zur Teilrevision des schweizerischen VAG – insbesondere mit Blick auf vertriebsrechtliche Aspekte

Helmut Heiss ist seit 2007 Ordinarius für Privatrecht, Privatrechtsvergleichung und Internationales Privatrecht an der Universität Zürich. Er ist Vorsitzender der Projektgruppe «Principles of European Insurance Contract Law (PEICL)», Koordinator der «Insurance Law Special Interest Group» am European Law Institute in Wien sowie Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht (SGHVR). Der Vortrag widmete sich den Anpassungen des schweizerischen Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und deren Auswirkungen auf die Versicherungsbranche. Helmut Heiss begrüsst die Neuregelung der Sanierung von insolventen Versicherungsunternehmen. Dies biete die Möglichkeit, den Interessen der VersicherungsnehmerInnen im Krisenfall Rechnung zu tragen. Analog zu den Verhaltenspflichten iSd FIDLEG seien Verhaltenspflichten beim Vertrieb von Versicherungsprodukten mit Anlagecharakter vorgesehen. Die Begriffe «gebundene/ungebundene» VersicherungsvermittlerInnen seien nun einer Legaldefinition zugeführt und es gelte ein Verbot, gleichzeitig gebunden und ungebunden tätig zu sein. Bei der Empfehlung von qualifizierten Lebensversicherungen seien die Pflichten weitgehend an jenen orientiert, die aus dem Bankenrecht bekannt seien im Zusammenhang mit sog. «Kick-Backs» . Zudem gelte Versicherungsunternehmen die generelle Pflicht, Interessenskonflikte möglichst zu vermeiden. Die diesbzgl. Vorgaben seien nach der Ansicht von Helmut Heiss konkretisierungsdürftig. Im Rahmen der Diskussionsrunde wurde der aus dem Bankenrecht bekannte Ansatz der «Definition eines Zielmarkts» diskutiert. Helmut Heiss führte dazu aus, dass eine Beratung, die außerhalb der Zielbestimmung erfolgt, durchaus als «Fehlberatung» zu werten sein könnte. Generell könne man festhalten, dass Kapitalanlagerechtsstrukturen (MiFiD II sowie PRIIPs) vermehrt Einfluss auf das Versicherungsrecht nehmen. Helmut Heiss fand hierzu die treffende Formulierung der «MiFID-isation» bzw «FIDLEG-isierung» des Versicherungsrechts.

Marta Ostrowska, LL.M. – Application of proportionality post Solvency II review

Marta Ostrowska ist seit September 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät Transnational Insurance Law an der Universität in Zürich sowie Secretary-General bei der PRICL (Principles of Reinsurance Contract Law) Group an der Universität in Zürich. Marta Ostrowska erläuterte, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgestellt worden sei, um sicherzustellen, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen angemessen sind. Nach einer Legaldefinition der Proportionalität suche man allerdings vergebens. Marta Ostrowska erläuterte das Proportionalitätsprinzip dahingehend, dass Maßnahmen/Anforderungen in einem angemessenen Verhältnis zur Art, zum Umfang und zur Komplexität der Risiken stehen müssten, die mit der Tätigkeit eines Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmens verbunden sind. Nach Ansicht von Marta Ostrowska lassen sich mehrere Gründe aufzeigen, welche die praktische Umsetzung des Prinzips erschweren. Erstens fehle es an allgemeinen Kriterien wie Ausmaß und Komplexität einer Tätigkeit beurteilt werden können. Zweitens fehle es an einer einheitlichen Praxis bei den nationalen Aufsichtsbehörden bei der Anwendung des Prinzips. Drittens herrsche Rechtsunsicherheit dahingehend, wer für die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit letztendlich zuständig sei. Dies führe nach Ansicht von Ostrowska dazu, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bisher in ungenügender Weise in die rechtliche Versicherungspraxis implementiert worden sei.

Ass. iur. Moritz Feuchter, LL.M. – EU Sustainability Reporting Requirements

Moritz Feuchter ist Legal Counsel bei iptiQ und sorgte mit seinem Vortrag zum Thema «EU Sustainability Reporting Requirements» für einen interaktiven und angeregten Austausch mit den TeilnehmerInnen. Im Zentrum stand die Taxonomie-Verordnung der Europäischen Kommission und das darin vorgesehene Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Offenlegungsverordnung sowie die NFDR nicht hinlänglich waren, um Kapitalströme ausreichend ökologisch auszurichten bzw ein sogenanntes «greenwashing» zu verhindern. Moritz Feuchter stellt den TeilnehmerInnen einen übersichtlichen «decision tree» zur Verfügung, der bei der Beurteilung helfen soll, ob ein Versicherungsprodukt als ökologisch nachhaltig iSd Taxonomy-Verordnung zu qualifizieren ist. Weitere Tipps und Informationen gab es zusätzlich für den Underwriting-Prozess. Die TeilnehmerInnen erhielten einen umfangreicheren Kriterienkatalog «Technical Screening Criteria» als Hilfestellung für den praktischen Alltag.

Dr. Marvin Geisler – Sustainability im Versicherungsvertrieb

Mit Fokus auf «Sustainability im Versicherungsvertrieb» gestaltete Dr. Marvin Geisler, Rechtsanwalt bei der renommierten Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller, seinen Vortrag im Rahmen der Fortbildungsveranstaltung. Die Konkretisierung von Nachhaltigkeitspräferenzen und das passende Versicherungsanlageprodukt für den Kunden zu finden, stellt nach Ansicht von Marvin Geisler eine besondere Herausforderung dar. Das Thema «Nachhaltigkeit» sei ein wesentlicher «Treiber» der Finanzmarktregulierung und der Versicherungsvertrieb gelte als «Übersetzer» zwischen nachhaltigem Finanzsektor und dem Kunden. Geisler betonte, dass die Nachhaltigkeit ein zentraler Gesichtspunkt der Unternehmensstrategie werden müsse und nicht nur ein Teilbereich der Compliance sein dürfe. Im Rahmen von «Product Oversight und Governance (POG)» würden sich die Prüfungskriterien für Versicherungsprodukte auf die Nachhaltigkeitsziele der KundInnen erstrecken. Diese Nachhaltigkeitspräferenzen seien ein Teil des KYC-Prozesses und Bestandteil der Geeignetheitsprüfung. ProduktherstellerInnen sei anzuraten, künftig alle notwendigen Informationen über das jeweilige Versicherungsprodukt den VersicherungsvertreiberInnen zur Verfügung zu stellen, um die Geeignetheit für die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden beurteilen zu können.

 

Für die bewährte und freundliche Kooperation bei der Vorbereitung und der Ausgestaltung der Tagung bedankt sich der Lehrstuhl für Bank- und Finanzmarktrecht beim Liechtensteinischen Versicherungsverband (LLV), beim Verband liechtensteinischer Versicherungsmakler (LIBA) und bei der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA).

Save-the-date: ID-Intensiv IX 29.9.2022