Nach den einleitenden Worten von Dr. Rainer Silbernagl widmete sich der erste Teil der Veranstaltung den neuen Perspektiven in der europäischen Aufsicht.
Als Einstieg referierte Pascal Pfefferle, Experte für Konsumentenschutz der EIOPA. Pascal Pfefferle stellte die Zukunftsfähigkeit der IDD durchaus in Frage, da es an einer ausreichenden Anpassungsfähigkeit zur Förderung von digitalen Geschäftsmodellen mangelt. Schwierigkeiten bilden derzeit auch noch die grenzüberschreitenden Geschäfte. Aufgrund zahlreicher nationaler Vorschriften und einer unzureichenden Harmonisierung der Verbraucherschutzvorschriften in Europa ist der grenzüberschreitende Vertrieb durchaus mit Schwierigkeiten verbunden. Bis 2024 soll es aber zu einer Anpassung der europarechtlichen Vorschriften (IDD II) kommen und die EIOPA erhofft sich dadurch eine bessere Berücksichtigung von technologischen Entwicklungen und einen stärkeren Wettbewerb. Ganz nach dem Motto „weniger ist mehr“, gilt es die Anzahl der Regeln gering zu halten, dafür aber die Aufsicht zu verstärken.
An die grenzüberschreitende Aktualität knüpft auch Dr. Bernhard Burtscher vom Institut für Zivil- und Zivilverfahrensrecht der WU Wien mit seinem Vortrag über das ewige Rücktrittsrecht in der Lebensversicherung an. Nach Ansicht des EuGH entspricht das ewige Rücktrittsrecht dem europarechtlichen Grundsatz des effet utile. Dr. Burtscher sah dies durchaus kritisch, da dem Versicherungsnehmer ein „Widerrufsjoker“ eröffnet wird und damit ein risikoloses Spekulieren ermöglicht wird.
Eine Analyse des liechtensteinischen Pensionssystems unter Berücksichtigung verhaltensökonomischer Aspekte präsentierte PD Dr. Martin Angerer, Assistenzprofessor am Lehrstuhl für Finance der Universität Liechtenstein. Das 3-Säulensystem hat dabei durchaus Ähnlichkeiten zu den Systemen anderer europäischer Länder, liegt schwerpunktmässig aber auf der dritten Säule. Generell ist zwar die Altersarmut in Liechtenstein als gering zu bewerten, dennoch ist der privaten Altersvorsorge aber zentral Beachtung zu schenken, was einen wichtigen Anknüpfungspunkt für private Versicherungsprodukte darstellt.
Im Rahmen des Green-Deal der EU soll Europa bis 2055 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Diese Zielsetzung wird in den nächsten Jahren zu einer weitreichenden systemischen Transformation des Versicherungssektors führen, stellte Mag. Dieter Pscheidl, Leiter des Bereichs „Europäische Angelegenheiten“ der Vienna Insurance Group AG (Wien) gleich eingangs fest. Ab März 2021 unterliegen alle Versicherungsanlageprodukte der Offenlegungspflicht von Nachhaltigkeitsrisiken. In Zukunft müssen daher die Produkte auch vermehrt den Nachhaltigkeitspräferenzen und Erwartungshaltungen des Kunden, bspw bei den vorvertraglichen Informationspflichten, entsprechen.
Den zweiten Teil eröffnete Dr. Daniel Koller, Vizepräsident, Verband Liechtensteinischer Versicherungsmakler (LIBA) und Head of Legal & Compliance der 1291 Group, mit seinem Beitrag zur Offenlegung von Endkunden gegenüber Banken und Vermögensverwaltern bei „Insurance Wrappern“. Dr. Daniel Koller sprach in diesem Zusammenhang von der „Dreifaltigkeit“ von Bank, Versicherung und Vermögensverwalter. Dieses Versicherungsprodukt charakterisiere sich dadurch, dass ein Versicherungsunternehmen ein Anlagedepot bei einer Bank oder Effektenhändler führt, welches zur Aufbewahrung von Anlagen eines einzelnen Kunden im Rahmen eines Lebensversicherungsvertrages dient. Negative Schlagzeilen machten die Wrapper-Thematik bereits. Dies trug nach Ansicht von Dr. Daniel Koller auch dazu bei, dass „Insurance Wrapper“ überwiegend mit unversteuerten Geldern assoziiert werden, obwohl sie keine Lebensversicherungsprodukte darstellen. Daher sind die Offenlegungsvorschriften iSd Sorgfaltspflichtengesetzes anzuwenden.
Einen Einblick in die Praxis und die wesentlichen Neuerungen im Bereich des Verbraucherschutzes in Österreich durch die Umsetzung der IDD, gab Dr. Roland Weinrauch (Weinrauch Rechtsanwälte GmbH, Wien). Er skizzierte die haftungsrechtlichen Unterschiede von Versicherungsmaklern und Versicherungsagenten und betonte, dass die Verpflichtungen des Versicherungsmaklers viel weitergehen als jene des Versicherungsagenten. Über dem Versicherungsmakler schwebe stets das Damoklesschwert der Best-Advice-Verpflichtung. Vom Vertrieb wird daher deutlich mehr gefordert wird als bisher, obwohl die Best-Advice-Verpflichtungen immer noch auslegungsbedürftig sind.
Magdalena Goll, MSc, Bundesministerium für Finanzen, bot einen Überblick über die neusten europäischen Entwicklungen im Bereich Insurance Technology. Innovationen im Finanzbereich sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen, dies nicht nur durch Start-Ups, sondern auch durch etablierte Unternehmen. Die wichtigsten Neuerungen sind dabei Vergleichsplattformen und die sog peer-to-peer Geschäftsmodelle. Die wichtigste Technologie im Versicherungsbereich ist dabei die „Cloud-Outsourcing“-Technologie anzusehen. Diese spielt vor allem bei der Verarbeitung und Analyse von grossen Datenmengen eine wichtige Rolle. Die zwei wichtigsten EU-Initiativen für Versicherungen finden sich im FinTech Aktionsplan 2018 sowie die Strategie für ein digitales Finanzwesen in der EU 2020. Es herrscht derzeit aber noch Unsicherheit hinsichtlich der Anforderungen, die an digitale Dienstleister gestellt werden. Die Digitalisierung sah die Referentin dabei als eine tragende Säule im Bereich des Versicherungswesens.
Dieser Meinung schloss sich auch Mag. Philipp Fuchs, LL.M (Juristischer Senior Spezialist im Bereich Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen der FMA-Finanzmarktaufsicht Liechtenstein) an und hob das Potential der Digitalisierung für Kostenreduktion und Qualitätssteigerung hervor. Die Digitalisierung von Produkten erlaube es künftig, dass die Produkte verstärkt an den Kunden angepasst werden könnten. Digitalisierung biete aber auch die Möglichkeit, die Kundenbindung zu stärken, da über verschiedene digitale Kommunikationsmittel Beratung angeboten werden kann, während bei der Automatisierung nur Programme oder Algorithmen in direkten Kontakt mit dem Kunden treten. Die Anzahl und Komplexität an Rechts- aber auch Reputationsrisiken wird aber zunehmen.
Die Tagungsgäste konnten auch über die Chatfunktion Antworten auf aktuelle Fragestellungen im Bereich des Versicherungsvertriebs für den beruflichen Alltag mitnehmen und es kam zu spannenden Fragestellungen.