Die von vielen Regierungen erlassenen Isolationsbestimmungen aufgrund von COVID-19 forderten rasche Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Aufbauend auf diesen Entwicklungen untersucht die Studie die subjektive Einschätzung von Führungspersönlichkeiten zu langanhaltenden Veränderungen durch die COVID-19 Krise. Zu diesem Zweck wurde ein zweistufiges Forschungsdesign basierend auf der sogenannten Q-Methode, die die Erfassung von Meinungsbildern und Wertestrukturen ermöglicht, verwendet. Die drei identifizierten Meinungsbilder repräsentieren Gruppen von Befragten, die ähnliche Einschätzungen zu neuen Verhaltensweisen und Arbeitspraktiken in Unternehmen infolge der COVID-19-Krise teilen. Die Studie wurde anonym durchgeführt.
Die Befragten sind vorranging Führungspersönlichkeiten aus Liechtenstein (9 von 19) und der Schweiz (7 von 19). Das Durchschnittsalter liegt bei 44 Jahren und der Grossteil der Befragten hat einen akademischen Abschluss (17 von 19). Die Führungspersönlichkeiten sind grösstenteils in verschiedenen Branchen der Privatwirtschaft tätig (17 von 19), häufig als Geschäftsführer. Im Rahmen der Analyse konnten drei Meinungsbilder identifiziert werden, die sich auf die schockabsorbierende Wirkung von Informationstechnologie in einer Krisenreaktion beziehen und verschiedene Formen digitaler Resilienz beschreiben. Wir beschreiben die drei Meinungsbilder in Form einer Dialektik aus These und Antithese mit anschliessender Synthese.
These: Resilienz durch weitreichende Digitalisierung im Unternehmen.
Das erste Themenfeld spiegelt die Meinung wider, dass die COVID-19-Krise zu starken anhaltenden Veränderungen der Arbeitspraktiken in Organisationen führen wird. Relevante Positionen sind:
- Organisationen werden die Automatisierung beschleunigen.
- Neue Kommunikations- und Videokonferenztools werden eine grosse Rolle spielen.
Gleichzeitig geht diese Gruppe der Befragten nur von einem gewissen Mass an Veränderungen aus und sieht auch Nachteile in der stärkeren Nutzung digitaler Technologien. Beispielsweise gehen die Befragten nicht davon aus, dass die Krise zu einer Automatisierung von Interaktionen mit Kunden führen wird, oder dass sich Lieferkettenmodelle verändern werden.
Antithese: Skepsis gegenüber Veränderungen durch Digitalisierung.
Das zweite Themenfeld spiegelt eine grundlegende Skepsis gegenüber der Fähigkeit und dem Willen von Unternehmen sich zu verändern wider. Relevante Positionen sind:
- Digitale Technologien spielen eine untergeordnete Rolle zur Bewältigung der Krise.
- Unternehmen werden auch in Zukunft Krisenmanagement nicht als Priorität sehen.
- Die Krise führt nicht zu verstärktem Kosten- und Liquiditätsmanagement sowie finanzieller Unabhängigkeit in Unternehmen.
Gleichzeitig nehmen die Befragten eine verstärkte Fragmentierung der globalen Wirtschaft wahr. Sie betrachten die Veränderungen in der Arbeitsweise von Unternehmen als marginal, wie beispielsweise die erhöhte Frequenz von Online-Meetings anstatt physischer Anwesenheit in Organisationen.
Synthese: Digitale Resilienz durch die bewusste Nutzung digitaler Technologien.
Das dritte Themenfeld bringt diese beiden extremen Positionen zusammen. Die Kernpositionen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Langanhaltende Veränderungen der Arbeitsweise treten durch die Nutzung digitaler Technologien auf.
- Insbesondere werden hier eine zunehmende Nutzung von Cloud-Lösungen sowie von Kommunikations- und Videokonferenztools gesehen.
- Relevante Veränderungen in anderen Bereichen werden weder erwartet noch sind sie erwünscht.
Während VertreterInnen dieses Meinungsbildes einerseits eine wichtige Rolle der Digitalisierung zur Bewältigung der Krise sehen, lehnen sie dennoch langanhaltende Veränderungen der Organisationsstruktur sowie eine allgemeine Beschleunigung der Automatisierung ab.
Die Studie zeigt, dass Führungspersonen in Liechtenstein unterschiedliche – sich teils widersprechende – Positionen bezüglich der Rolle der Digitalisierung im Rahmen der COVID-Krise vertreten. Dies spiegelt einen gesellschaftlichen Diskurs wider, in dessen Rahmen die Vorteile sowie die Herausforderungen einer umstandsbedingt beschleunigten Automatisierung und Digitalisierung vorweggenommen werden.
Deutlich wird darüber hinaus, dass auch diejenigen, die einen positiven Effekt der Digitalisierung im Zusammenspiel mit organisatorischen Veränderungen zur Krisenbewältigung sehen, nicht von radikalen Konsequenzen im Sinne beispielsweise völlig neugestalteter Interaktionen mit Kunden ausgehen.
Die Studie legt nahe, dass die Rolle sowohl digitaler Technologien als auch organisationaler Veränderungen sehr unterschiedlich gesehen werden. Unternehmen sind gefordert, zu beobachten, welche Strategien sich in welcher Branche als erfolgreich erweisen.
- Digitale Resilienz: Digitale Technologien erhöhen die digitale Resilienz von Unternehmen, da sie ein Aufrechterhalten von Geschäftsaktivitäten auch in der Krise ermöglichen.
- Nachhaltigkeit: Die digitale Transformation in Unternehmen wurde beschleunigt und es wurde neues digitales Kapital geschaffen, das voraussichtlich über die Krise hinaus Unternehmen ermöglichen wird, nachhaltig Wert zu generieren.
Die Studie wurde durchgeführt unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Seidel (Lehrstuhl für Informationssysteme und Innovation, Institut für Wirtschaftsinformatik, stefan.seidel@uni.li). Studienautoren sind darüber hinaus Katharina Drechsler, Dr. Leona Chandra Kruse, Prof. Dr. Jan vom Brocke sowie Prof. Richard Watson, PhD (University of Georgia, USA).