uni.liThemaFinanceNeuigkeiten«Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend»*

«Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend»*

Der Begriff Nachhaltigkeit hat die Investment-Nische definitiv verlassen», erklärt Lars Kaiser im Laufe des Gesprächs. Der Assistenzprofessor am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, Bank- und Finanzmanagement an der Universität Liechtenstein beschäftigt sich seit längerem mit der Integration von ESG-Aspekten in bestehende Investmentansätze. ESG ist die englische Abkürzung für «Environment, Social and Govemance», also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung.

Der Begriff ESG wurde in der Finanzwelt etabliert, um auszudrücken, ob und wie bei Entscheidungen von Unternehmen und der unternehmerischen Praxis sowie bei Firmenanalysen von Finanzdienstleistern ökologische und sozial-gesellschaftliche Aspekte sowie die Art der Unternehmensführung beachtet, beziehungsweise bewertet werden. Dafür gibt es verschiedene Anbieter, welche ein Rating für Unternehmen erstellen – ähnlich wie Standard & Poors oder Moody's für die Kreditwürdigkeit, aber mit Fokus auf die Nachhaltigkeit. Nur hat sich bis heute noch kein einheitlicher Standard durchgesetzt, was mitunter daran liegen könnte, dass das Thema Nachhaltigkeit erst langsam den Weg in den Geschäftsalltag findet und nicht objektiv messbare Kriterien beinhaltet. Deshalb will Lars Kaiser den Finanzplatz für das Thema sensibilisieren.

Das Thema wird immer wichtiger

Dafür hat Kaiser «ESG Kompakt» ins Leben gerufen. «Sie soll als Plattform dienen, um den Austausch zwischen diversen Akteuren der Finanz- und Realwirtschaft zu stärken und das Thema Nachhaltigkeit von verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten», so der Ökonom. Noch zu viele Akteure würden einen Unterschied zwischen dem traditionellen und dem nachhaltigen Geschäft machen. «Dabei sollten nachhaltige Aspekte in traditionelle Investmentansätze integriert werden. Es ist kein Entwederoder. » Er geht davon aus, dass die Thematik noch stark an Bedeutung gewinnen wird. «In den nächsten Jahren wird sehr viel Vermögen an die nächste Generation übergehen», erläutert Kaiser. Das würden alle Vermögensverwalter und Banker wissen. «Deshalb macht es Sinn, sich frühzeitig mit den Bedürfnissen der neuen Generation auseinanderzusetzen. » Es sei wichtig zu verstehen, dass die Einführung von ESG-Kriterien nachfragegetrieben sei. «Wir setzen uns heute immer stärker damit auseinander, wie wir die Welt unseren Nachkommen hinterlassen wollen.»

Keine einfachen Lösungen

 Dabei gehe es nicht um eine radikale Umkehr unseres Verhaltens, erklärt Kaiser. «Das ist dem allergrössten Teil von uns schlicht zu schwierig.», so Kaiser. Deshalb werde ein Mittelweg gesucht. Der Trend gehe momentan zu Lösungen, in denen die Freiheit des Einzelnen nicht zu stark eingeschränkt werde, aber gleichzeitig soziale oder ökologische Schäden so klein wie möglich gehalten werden. Doch selbst hier wird es komplex. Beispiel Elektroautos: Hier scheiden sich Geister, wie nachhaltig sie wirklich sind. Denn die Produktion von Batterien braucht seltene Erden, die oft unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut werden. Umgekehrt wird während dem Betrieb kein CO2 ausgestossen. Wie also lässt sich bewerten, ob Autobauer von Elektrofahrzeugen wirklich nachhaltig handeln? «Genau hier liegt der Knackpunkt», erklärt Kaiser. Vieles, was man nach ESG-Kriterien bewerten müsse, ist nicht objektiv messbar. Das sei eines der beiden Hauptprobleme. Das zweite ist der Glaube, man könne die ganze Welt auf die Buchstaben E, S und G herunterbrechen. Alleine im Bereich Unternehmensführung gibt es weltweit grosse kulturelle Unterschiede, was man unter einer guten Führung versteht.

Wie also lassen sich die verschiedenen Unternehmen vergleichen? «Wir werden nie eine einheitliche Objektivität erreichen», stellt der Ökonom klar. Jede Ratingagentur werde hier andere Kritieren anwenden. Das wiederum könnte eine Chance für den Platz Liechtenstein werden. So könnten sich Vermögensverwalter und Banken in Liechtenstein positionieren, indem sie sich auf bestimmte Stile und Teilaspekte konzentrieren und ihre Kundschaft individuell beraten. Der Kunde kann dann aussuchen, welches Angebot am besten zu seinen Bedürfnissen passt. «Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend», fasst Kaiser zusammen. Dieses Verständnis, dass man Umwelt- und soziale Themen in den Mittelpunkt stellt, werde immer weiter zunehmen. «Wir müssen uns auch bewusst sein, dass auch Behörden bereits an regulatorischen Vorgaben arbeiten, um solche Kriterien dereinst verpflichtend einzuführen», so Kaiser. «Das Thema kommt, die Frage ist nur wie schnell.» Nun müssen sich die Finanzplatzakteure entscheiden, ob sie bei den Vorreitern sein möchten oder nicht.

 

* von Stephan Agnolazza-Hoop, Wirtschaft Regional, 18.05.2019