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Wohin mit so viel Freiheit?

Der Generation Y wird vorgeworfen, sie nütze ihre unzähligen Möglichkeiten nicht. Generationsvertreter und Wirtschaftsstudent Valentin Mayerhofer bezieht Stellung.

Text: Valentin Mayerhofer

John Locke postulierte 1690 in «Two Treatises of Government» den Naturzustand als «Zustand vollkommener Freiheit, innerhalb der Grenzen des Naturgesetzes seine Handlungen zu lenken und über seinen Besitz und seine Person zu verfügen, wie es einem am besten scheint – ohne jemandes Erlaubnis einzuholen und ohne von dem Willen eines anderen abhängig zu sein.» Während Freiheit noch längst nicht in allen Teilen der Welt angekommen ist, so lässt sich zumindest für den westlichen Raum behaupten, dass wir ein ausgesprochen hohes Mass an Freiheit besitzen. Das schafft jedoch neue Herausforderungen und Fragen, die wir so noch nicht kennen. Ein Erklärungsversuch.

Vorausgesetzt man ist frei. Was passiert eigentlich mit Freiheit, wenn man diese nicht nützt?

Geht man von dem Freiheitsverständnis John Lockes aus, so muss es in dem Moment, in dem man seine Freiheit nicht nützt – sprich eine Entscheidung nicht selber trifft – jemanden anderen geben, der die Entscheidung trifft. Als Beispiel par excellence wäre hier die politische Freiheit aufzuführen: Wenn ich meine politische Freiheit in einer Demokratie nicht nütze  und zum Beispiel nicht zur Wahl gehe, überlasse ich die Entscheidung jemand anderen. Dabei ist es von geringer  Bedeutung, ob es eine Institution, eine Gruppe oder eine Einzelperson ist, an die man seine Freiheit abgibt. Die Folgen von nicht genützter Freiheit sind oftmals nur schwer absehbar, da mit der Abgabe der Entscheidungsfähigkeit im Grunde genommen sämtliche Kontrolle über die Zukunft abgegeben wird. Man wird so lange zum Zuschauer gesellschaftlicher Entwicklungen, bis man sich wieder an Entscheidungen beteiligt und aktiv an der Gesellschaft partizipiert.

Als Vertreter der Generation Y wird man oft mit dem Vorwurf konfrontiert, dass wir unsere Freiheit nicht nützen. Uns fehle  es doch an nichts und viele Dinge, die wir heute als selbstverständlich erachten und die uns freimachen, mussten von älteren Generationen hart erkämpft werden – sei es das Frauenwahlrecht, Frieden in Europa oder der Schutz der Umwelt. Der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier hat bei seinem Campusgespräch an der Universität Liechtenstein 2014   festgehalten, dass die derzeitige Jugendgeneration die erste in der jüngeren Geschichte ist, die für nichts einstehen bzw. kämpfen muss und der es trotzdem gut geht.

Was macht also eine Generation, die sich für nichts einsetzen muss und trotzdem alles hat? Sie fühlt sich überfordert. Gab es früher noch von der Gesellschaft vorgegebene Verhaltensrichtlinien, mit akzeptierten und abgelehnten Tugenden, Verhaltensweisen und Lebenskonzepten, so ist heute alles möglich. Und wenn etwas nicht möglich ist, dann wird sofort der Ruf nach mehr Freiheit laut. In einer Welt, in der man per Mausklick Zugriff auf weltweites Wissen hat, ist die Devise «Alles ist möglich» zum goldenen Leitsatz erkoren worden. Je grösser aber die Freiheit bei einer Entscheidung ist, desto grösser wird auch deren Komplexität und damit das Gefühl der Überforderung.

«In einer Gesellschaft voller Extreme gibt es keinen Platz mehr für Revolution und Widerstand.»

Galt früher zum Beispiel noch die Devise, dass man die nächstgelegene Universität besucht, die das passende Studienangebot hat, so sieht man sich heutzutage als junger Erwachsener einer schier unübersehbaren Anzahl an Bachelor- und Masterstudiengängen gegenüber. Ja, wir haben die Freiheit, aus allen Studienangeboten weltweit zu wählen. Aber wie soll man da als 19-Jähriger zu einer Entscheidung kommen? Aber nicht nur im Bereich Bildung hat die grenzenlose Freiheit ihre Folgen. Bei gesellschaftlichen Vorbildern wie Lady Gaga oder Katy Perry ist es heutzutage unmöglich, aufzufallen. Um gegen Eltern zu revoltieren, reicht es heute nicht mehr aus, am Wochenende mit Freunden trinken zu gehen und erst in den frühen Morgenstunden nach Hause zu kommen. In einer Gesellschaft voller Extreme gibt es keinen Platz mehr für Revolution und Widerstand.

Das Fehlen von verbindlichen gesellschaftlichen Grenzen und Normen im grossen wie im kleinen Kontext hat gravierende Folgen. Als gutes Beispiel dafür kann die Erziehung dienen. Experten sind sich darüber einig, dass Jugendliche Grenzen brauchen, gegen die sie verstossen können. Nur im Diskurs mit Bezugspersonen kann ein eigenes Wertesystem entworfen und überprüft werden. Ist man gezwungen, eine Entscheidung für oder gegen etwas zu treffen, so zwingt dies einen zur Reflexion und fördert dabei die Entwicklung und Festigung eines eigenen Weltbilds. Fehlen diese Grenzen und damit die notwendigen Reibungsflächen, so muss diese Entwicklung zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.

Genau wie ein Jugendlicher braucht auch eine Gesellschaft ein universell akzeptiertes Wertesystem, an dem sich die junge Generation messen kann. Nur so können nachfolgende Generationen ihre eigenen Werte entwickeln und herausfinden, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Das hohe Mass an Freiheit und das Fehlen solch eines Wertesystems erfordert es derzeit aber nicht, dass wir uns über unsere Werte und Weltvorstellungen Gedanken machen müssen. Ganz egal, wie man sich als Junger heute entscheidet, es wird gesellschaftlich akzeptiert. Durch das Fehlen universell verbindlicher Normen und Werte gibt es in der heutigen Gesellschaft nur mehr wenig Orientierung für Jugendliche. Ohne diese muss bei jeder Entscheidung aufs Neue überlegt werden, was einem wichtig ist und wofür man steht. Das verlangt viel Energie und führt rasch zur Überforderung – es fehlen Grundhaltungen, die als Leitsystem Entscheidungen vereinfachen. Als Konsequenz geben daher viele Jugendliche einen Teil ihrer Freiheit ab und lassen lieber andere entscheiden. Und da man sowieso alles hat, was man braucht, gibt es auch keinen Druck von aussen, eine Entscheidung treffen zu müssen.

Die Generation Y kann sich also den Luxus leisten, nicht entscheiden zu müssen, gleichzeitig sind Entscheidungen aufgrund der Anzahl an Optionen und des Fehlens eines allgemein gültigen Wertesystems unglaublich komplex geworden. Aus Bequemlichkeit geben daher viele Jugendliche heute ihre Freiheit ab und müssen so nicht selbst entscheiden. Dieser Umgang mit Freiheit birgt jedoch grosse Gefahren. Die Bereitschaft einer Gesellschaft, Freiheit aus Gründen der Bequemlichkeit in grossen Stücken abzugeben, kann rasch dazu führen, dass Freiheit und damit auch die Entscheidungshoheit in der Hand ein paar weniger Mächtiger landet. Die Auswirkungen der eigenen Bequemlichkeit wird man erst merken, wenn es zu spät ist.

Damit es nicht soweit kommt, müssen wir uns junge Generation auffordern, die Welt nicht so hinzunehmen, wie sie ist. Auch wenn wir überfordert sind und oft nicht wissen, wohin die Reise gehen soll, dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen. Nur wenn wir aktiv die Zukunft gestalten, werden wir unsere eigenen Richtlinien, Normen und Werte finden, an denen sich zukünftige Generationen messen können. Wir müssen wieder mehr diskutieren, uns mit Vorstellungen über die Zukunft auseinandersetzen, Lebensthesen entwickeln und aktiv am gesellschaftlichen Wandel mitwirken. Wir müssen endlich wieder über Werte diskutieren und uns als Gesellschaft wieder einen Auftrag geben. Wir haben es in der Hand, jeden Tag aufs Neue, diese Welt zu dem Ort zu machen, den wir wollen und brauchen. Lasst uns also gemeinsam an einer Gesellschaft arbeiten, in der Freiheit befähigt und nicht einschüchtert, in der niemand Freiheit aufgrund von Überforderung abgeben muss. Auch wenn wir erst noch lernen müssen, mit dieser Freiheit umzugehen.





Über den Autor

Seit 2014 ist Valentin Theodor Mayerhofer Vorstandsmitglied der Initiative for Teaching Entrepreneurship, einem gemeinnützigen Verein aus Österreich, der sich der Förderung der Entrepreneurship Education verschrieben hat. Im Rahmen seiner Tätigkeit arbeitet er an zahlreichen europäischen und nationalen Projekten und Initiativen mit, wie den «Youth Start Entrepreneurial Challenges» oder dem «Youth Start European Entrepreneurship Network». Zudem ist er Koordinator von «Starte dein Projekt», einer Initiative, die Jugendliche dazu ermutigen soll, an ihre eigene Ideen zu glauben und diese im Rahmen von schulischen Projekten auch umzusetzen. Er studiert seit 2014 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Liechtenstein mit dem Schwerpunkt E ntrepreneurship & International Management.

 

*Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der November 2017 Ausgabe des Denkraum Magazins.