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Wir sind auf Innovatoren angewiesen

Anthony Giddens hat am Liechtenstein Kongress für nachhaltige Entwicklung und verantwortliches Investieren den Klimawandel das grösste Risiko der Menschheit genannt. Der britische Soziologe sieht im UN-System den Rahmen, auf diese Herausforderung zu reagieren. Dem Gipfel von Rio im Juni sollten aber mehr Taten folgen als seinem Vorgänger vor 20 Jahren.

Anthony Giddens hat am Liechtenstein Kongress für nachhaltige Entwicklung und verantwortliches Investieren den Klimawandel das grösste Risiko der Menschheit genannt. Der britische Soziologe sieht im UN-System den Rahmen, auf diese Herausforderung zu reagieren. Dem Gipfel von Rio im Juni sollten aber mehr Taten folgen als seinem Vorgänger vor 20 Jahren.

Interview: Steffen Klatt, Vaduz


Der Gipfel von Rio 1992 wollte eine globale Politik für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur anstossen, einschliesslich des Kampfes gegen den Klimawandel. Was ist davon übrig geblieben, jetzt, da die UN wieder einen Gipfel nach Rio einberufen?

Anthony Giddens: Zuerst sollten Sie akzeptieren, dass Natur nicht länger Natur ist. Wie scheinen in ein Zeitalter einzutreten, das von Wissenschaftlern bereits Anthropozän genannt wird, so stark beeinflusst das menschliche Tun bereits die natürlich gegebene Welt. Dieses Zeitalter lebt mit grossen neuen Risiken.
Bereits die blosse Tatsache, dass nun ein Gipfel Rio plus 20 stattfindet, weist auf ein grosses Proble, hin: Unsere Absicht, eine nachhaltige Welt zu gestalten und den Klimawandel zu begrenzen, führt nicht zu wirkungsvollem Handeln. Rio plus 20 sollte stärker von Taten gefolgt werden als Rio 1992. Das gleiche gilt auch für die Klimaverhandlungen.

Was erwarten Sie von Rio plus 20?

Ich hoffe, es wird echte Beschlüsse geben und vor allem auch echtes Geld. In den Klimaverhandlungen wird immer wieder Geld versprochen, ohne dass Geld fliesst. Ich hoffe, dass die Leute, die in Rio zusammenkommen, neue Ideen hervorbringen. Aber ich zweifle, dass die UN mehr tun werden als allgemeine Rahmenbedingungen setzen.

Ist der Klimawandel das wichtigste Thema auf der Agenda?

Für mich ist der Klimawandel das dringlichste und schwierigste Thema, das vor uns liegt. Natürlich ist die Agenda von Rio umfassender als diejenige der Klimaverhandlungen. Der Gipfel soll sich mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigen. Einige von ihnen sind politisch leichter zu handhaben. Es ist etwa leichter, sich mit der Wiederverwertung von Autoteilen zu beschäftigen, denn das schafft Wert. Es ist viel schwieriger, abstrakte künftige Risiken einer gestörten klimatischen Umwelt in den Griff zu bekommen.

Was sind die grössten Hindernisse?

In Bezug auf den Klimawandel ist es die schiere Untätigkeit der Wirtschaft, die von fossilen Energieträgern abhängt. Wir leben im Grunde in einer Gesellschaft, die auf fossilen Energieträgern basiert. Es ist sehr schwer, einen solchen Moloch zu bewegen, und wir haben ihn bisher nur ganz wenig bewegen können. Wir verschwenden stattdessen die Ressourcen, von denen wir abhängen. Ich hoffe, dass wir in den nächsten zwanzig Jahren mehr praktische Wirkung erzielen. Es geschieht viel, wenn auch vieles davon unabhängig voneinander statt auf staatlichem oder sogar globalen Niveau.

Warum ist das wichtig?

Wir brauchen viel Innovation, und viel davon kann auf lokalem Niveau stattfinden. Man kann versuchen, auf lokalem Niveau auf eine kohlendioxidarme Wirtschaft umzustellen. Aber wenn diese Versuche nicht auf höherem Niveau miteinander verbunden werden, dann wird das nicht die erwünschten Folgen haben. Wir brauchen einen tiefen strukturellen Wandel. Es könnte sein, dass die Kombination von wirtschaftlicher und ökologischer Krise einen Durchbruch bringt. Aber das scheint derzeit nicht der Fall zu sein.

Wir leben in einer Marktwirtschaft. Welche Geschäftsmodelle kann man im Kampf gegen den Klimawandel einsetzen?

Man kann die Wirtschaft nicht über einen Kamm scheren. Aber es gibt aufgeklärte Wirtschaftsführer, die sich sehr stark für Umweltbelange einsetzen und die wegen der möglichen Folgen des Klimawandels beunruhigt sind. Sie können eine sehr wichtige Rolle spielen. So weit wie möglich sollte diese Rolle auch wirtschaftliche Vorteile für sie haben. Mittelfristig wird das wahrscheinlich auch so sein. Wer etwa heute zu den Vorreitern bei der Gestaltung urbaner Systeme gehört, die auf Stromautos aufbauen, wird in Zukunft einen Wettbewerbsvorteil haben – aber nicht unbedingt schon heute. Manche Wirtschaftsführer sind ziemlich visionär. Auf der anderen Seite versuchen viele Unternehmen etwa in den Branchen rund um die fossilen Energieträger, am heutigen Zustand festzuhalten.

Welche Rolle spielen die Finanzmärkte?

Ich würde nicht nur von den Finanzmärkten, sondern generell von Marktmechanismen sprechen. Sie spielen eine wichtige Rolle, aber meist innerhalb von Rahmenbedingungen, die von den Regierungen gesetzt werden. Im Idealfall arbeiten Unternehmen und Regierungen in der Forschung zusammen. Ein wichtiges Thema wäre die Energiespeicherung. Wenn wir eine Möglichkeit fänden, grosse Mengen von Energie billig zu speichern, dann würde das grosse Folgen für die erneuerbaren Energien und ihre Marktfähigkeit haben. Aber es ist nicht so leicht, Investoren für solche Forschungen zu finden. Deshalb muss auch der Staat beteiligt werden. Auch Steuern haben einen Einfluss, da sie die Preise mit beeinflussen.

Grosse Teile der Wirtschaft und ihre Interessenvertreter wollen die Energiepreise so niedrig wie möglich halten…

Das wollen auch die Verbraucher. Das ist ein schwieriges Thema. Aber wenn man den Kohlendioxidausstoss begrenzen will, wären viel höhere Energiepreise besser. Das ist allerdings politisch sehr schwierig durchzusetzen. James Hansen (amerikanischer Klimaforscher, stk) fordert eine globale CO2-Steuer als die einfachste Massnahme. Aber das wird sich nicht durchsetzen lassen. Es ist nicht genug, eine Idee zu haben. Man muss sie auch umsetzen können.

Das Kyoto-Protokoll hat versucht, Marktmechanismen zu nutzen, indem es Emissionshandelssysteme ermöglicht hat. Mit Erfolg?

Der Emissionshandelssystem ist im grossen und ganzen gescheitert. Das europäische System hat einen gewissen Beitrag geleistet. Aber ich glaube nicht, dass er das entscheidende Instrument ist, auf das seine Erfinder gehofft haben. Wir müssen uns nach anderen Instrumenten umschauen.

Welchen?

Mehreren. Wir sind bis zu einem gewissen Grad auf Innovatoren angewiesen. Alle bestehenden Technologien haben Grenzen. Es ist auch teuer, wenn man zum Beispiel Kohle mit erneuerbaren Energien ersetzen will. Es gibt auch keine Garantie, dass wir die Innovation finden werden, welche den Wechsel ermöglicht. Daher sieht unsere Zukunft ziemlich gefährlich aus.

Wer sind die treibenden Kräfte für einen Wandel?

Ich hoffe auf eine Kombination von Akteuren in der ganzen Welt, besonders unter den sehr reichen Initiativen der Zivilgesellschaft. Das schlimmste wäre, wenn die Welt wartet, bis die Katastrophe wirklich bevorsteht. Dann ist es zu spät, weil wir nicht wissen, wie wir das CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen können.

Können wir nicht einfach Bäume pflanzen?

Nein, so einfach geht das nicht. Man müsste so etwas wie einen Staubsauger erfinden, der die Treibhausgase in grossem Massstab aus der Atmosphäre holt, ohne allzuviel Schaden anzurichten. Klimawandel ist das grösste der Risiken, die wir kennen, und da würde ich auch die Kernwaffen darunter zählen. Wir haben keine Erfahrung, wie wir mit diesem Risiko umgehen sollen. Und es könnte bald schon zu spät sein.

Ist die UNO noch immer der angemessene Rahmen, um den Klimawandel zu bekämpfen?

Das ist der Weg, den wir fortsetzen müssen. Wir brauchen die UN als einen koordinierenden Mechanismus, egal, was künftig geschehen wird. Allerdings müssen wir auch in unseren Erwartungen realistisch sein.

Beim Gipfel von Rio 1992 haben die Industrieländer die Führung innegehabt. Seither hat sich das Gleichgewicht der Kräfte geändert. Müssen jetzt die Schwellenländer die Führung übernehmen?

Sehr wahrscheinlich ja, besonders China und Brasilien, vielleicht auch Indien. Innovation hat heute zu einem bestimmten Grad kein Zentrum mehr. Sie ist nicht mehr an den Westen gebunden. Die alte Idee, dass wir die Technologie erfinden und dann billig abgeben, ist veraltet. Ein guter Teil der Erfindungen kann in den Schwellenländern stattfinden, sogar in den armen Ländern.

Zur Person:
Anthony Giddens, geboren 1938 in London, ist Soziologe und ehemaliger Direktor der London School of Economics. Giddens hat neben vielen anderen Themen auch über die Politik des Klimawandels geforscht. Er war Berater von Premierminister Tony Blair und ist seit 2004 als Lord Giddens Mitglied des britischen Oberhauses für die Labourpartei.