„Es kommt nicht darauf an, die Zukunft vorherzusagen, sondern auf sie vorbereitet zu sein“ – mit einem geflügelten Wort Perikles’ führte letzte Woche Dr. Roland Scherer von der Universität St.Gallen in das Zukunftsforum Bodensee 2030 ein. „Eine strategische Diskussion über das langfristige Wohin einer Region findet bisher kaum statt“, so Scherer.
Er ist Teil eines internationalen Forschungsteams, das an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen seine Ergebnisse einer breit angelegten Studie über die Zukunft der Bodensee-Region präsentierte. Eine sogenannte „Foresight-Studie“ kombiniert Trendanalysen mit partizipativen Verfahren wie Expertenbefragungen und Workshops zum Sammeln zukunftsbestimmender Informationen – aus ihnen werden Visionen entwickelt.
Das Forscherteam besteht aus Wissenschaftlern der Universitäten Konstanz, Liechtenstein, St.Gallen sowie der Zeppelin Universität in Friedrichshafen. Das Projekt »Bodensee 2030« wurde von der Internationalen Bodensee-Hochschule gefördert – dem Verbund von dreissig Hochschulen in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz. Die Forscher konzentrierten sich dabei auf die Themen Wirtschaft, Tourismus, Arbeitsmarkt und Raumplanung. Dabei ging es um Fragen wie: Welches sind die relevanten Trends und ihre Bedeutung für die Region? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft? Wo braucht es grenzüberschreitende Aktivitäten? Welche Zukunftsbilder ergeben sich daraus?
Vier Länder – ähnliche Herausforderungen
„Erstaunlich ist, dass die Ergebnisse in allen vier Anrainerstaaten des Bodensees sehr ähnlich ausgefallen sind“, sagt Thomas Wöhler vom Surveylab der Universität Konstanz. „Diese gemeinsamen Interessen – beispielsweise beim Fachkräftemangel oder der mangelhaften Verkehrsinfrastruktur – sind den schwierigen internationalen Abstimmungen dienlich.“ Wöhler sieht vor allem Handlungsbedarf bei der Vereinheitlichung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und einer besseren Verkehrsinfrastruktur. „Das würde ein stärkeres Bewusstsein für den gemeinsamen Lebensraum fördern, die Wohnungsmärkte entlasten und die wirtschaftliche Entwicklung fördern.“
Die IBK ist gefragt
Peter Droege, Professor an der Universität Liechtenstein, kritisiert, dass man bisher bei manchen brisanten Themen für die Region nur zäh vorankommt. Umso mehr freut ihn die hohe Anteilnahme am Projekt Bodensee 2030 – insgesamt wurden über 1’000 Personen befragt. „Wichtig wäre es, hier die erste energieautonome Klimaregion zu schaffen.“ Hierfür müsse man bestehende Initiativen stärken. Für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit sieht er vor allem die Internationale Bodensee-Konferenz IBK in der Verpflichtung. Dies sieht auch Dr. Roland Scherer von der Universität St.Gallen so: „Sie spielt eine wichtige Rolle – aber nicht die alleinige.“ Einige Themen müssten auch innerhalb der Länder oder lokal gelöst werden – es brauche nicht überall grenzüberschreitende Abstimmungen und Kooperationen.
Nebst der grenzüberschreitenden Verbesserung der Verkehrssituation sieht Scherer in erster Linie Handlungsbedarf bei der Abstimmung der Raumplanung und beim grenzüberschreitenden Innovationssystem. Optimistisch stimmt ihn, dass die regionalen Akteure die Zukunft grundsätzlich positiv beurteilen.
Der Blick in die Zukunft
Das Forscherteam skizzierte drei mögliche Zukunftsbilder für die Bodenseeregion: Die „Grossstadt Bodensee“ ist eine produktive Vierländer-Metropole der Gärten und Seen. Es bilden sich dynamische Zentren heraus, die von ebenso klaren Natur- und Landwirtschaftsräumen leben – sie erhöhen die Standortattraktivität. Die „Industrieregion Bodensee 4.0“ stärkt den grenzüberschreitenden Wissens- und Technologietransfer und baut ihre technischen und ingenieurwissenschaftlichen Forschungs- und Bildungsinfrastruktur aus – eine technische Universität fehlt nämlich bis heute. „Das ist auch ein Beitrag, um die enorm steigende Komplexität in den Wertschöpfungsketten zu bewältigen“, sagt Peer Ederer, Honorarprofessor der Zeppelin Universität. Unternehmen nutzen die Vorteile der digitalen Produktion: Intelligente Fabriken vernetzen Betriebsmittel, Maschinen und Logistiksysteme. Auch die „smarte Region Bodensee“ befördert mithilfe digitaler Technologien Innovationsprozesse und verknüpft Produkte oder Dienstleistungen intelligent. Dies ermöglicht neue Formen des gesellschaftlichen Engagements und führt zu neuen Lösungen in den Bereichen Mobilität, Energie, Wohnen oder Gesundheit. Politik und Verwaltung gestalten das Zusammenleben in enger Kooperation mit der Bevölkerung – mit dem Ziel, die Region als nachhaltigen Natur- und Kulturraum von europäischer Bedeutung zu bewahren.
Die detaillierten Ergebnisse der Studie sind ab August 2016 unter www.imp.unisg.ch erhältlich. Für nähere Informationen können Sie sich gerne an Dr. Roland Scherer, roland.scherer@unisg.ch wenden.