von Yvonne von Hunnius
Wert hat nur, was messbar ist. So sahen es auch die Telegrafen-Experten von Western Union im Jahre 1876, als sie zum ersten Mal ein Telefon in den Händen hielten. In einem Memo schrieben sie: «Dieses Telefon besitzt zu viele Unzulänglichkeiten, als dass es ernsthaft als Kommunikationsmittel in Betracht kommt. Das Gerät ist grundsätzlich ohne Wert für uns.» Visionäre Werte wie die des Telefons lassen sich kaum finanziell beurteilen. Genauso verhält es sich mit vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Prozessen, die zu ihnen führen. Man kann zwar messen, wie viele wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht werden – im laufenden Jahr sollen es laut dem Magazin Nature weltweit 920 000 Arbeiten sein – doch: Was bringt das der Welt an Wertschöpfung?
Werte machen den Unterschied
Bei der materiellen Wertschöpfung der klassischen Ökonomie geht es darum, was wir am Ende des Tages an Gütern haben. Ihr zur Seite steht die ideelle Wertschöpfung, die sich fragt, was wir sind und welchen Sinn wir erkennen. Was dient dem besseren Leben? Was trägt zu einer intakten Umwelt bei? Was bereichert eine Persönlichkeit? Unternehmenskultur ist hierfür ein gutes Beispiel: Es ist kaum in Zahlen zu fassen, welchen Mehrwert es bringt, wenn ein Unternehmen seiner Kultur grosse Bedeutung beimisst. Doch es macht einen entscheidenden Unterschied, sehen die Mitarbeitenden in ihrem Tun einen verbindenden Sinn.
Die Finanzkrise und das wachsende Umweltbewusstsein haben den Zweiklang der Wertschöpfung wieder stärker ins Blickfeld gerückt. Dabei sind diese Ideen keineswegs neu. Manche Unternehmer engagieren sich seit Generationen für ihre Beschäftigten und ihre Region, ohne direkten Gewinn daraus zu ziehen. Und bereits die alten Griechen wussten, dass die Ausbildung eines Menschen zu einer reifen Persönlichkeit Wertschöpfung bedeutet.
Alpenrheintal kann punkten
Diese Dimensionen zu beleuchten, weist dem Alpenrheintal einerseits neue Wege. Andererseits zeigt es auch, auf welche Stärken es für die Zukunft bauen kann. Hier ist nicht nur die in Franken messbare Wertschöpfung hoch: Im Sozialgefüge fest verankerte Unternehmen, gesellschaftlicher Zusammenhalt, Natur-Verbundenheit und dabei ein reger Innovationsgeist – all das ist eine hervorragende Basis für immaterielle Wertschöpfung. Und bei der aktuellen Generation Y der nach 1980 Geborenen sind diese Aspekte gefragter denn je. Die sogenannten Ypsiloner zeichnen sich dadurch aus, dass sie in ihrem Leben nicht zuvorderst Werte wie finanzielle Sicherheit anstreben: Sie ordnen Geld nicht selten anderen Zielen unter. Bei ihnen punkten Regionen, die auch immateriell viel zu bieten haben. Wissen Unternehmen darum, können sie Fachkräfte mit Argumenten rekrutieren, die sie vielleicht sonst in den Hintergrund gestellt hätten.
Dabei ist diese Generation ein Produkt ihrer Zeit. Von Mitarbeitenden wird heute nicht nur fachliches Wissen und Können erwartet. Sie sollen und wollen auch als Persönlichkeiten nachhaltig das wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen mitgestalten – Werte schaffen. Dazu braucht es mehr als nur die Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Es ist die Aufgabe einer ganzheitlichen Ausbildung, das Rüstzeug hierfür zu vermitteln: Orientierungswissen, Methode und Übung im fachübergreifenden Denken und Arbeiten.
Wer nach Werten lebt, trägt dazu bei, dass nicht nur ein kleines soziales Gefüge gesund ist, sondern auch ein Unternehmen, ein ganzes Land.
Quelle der Gesundheit
Will man den Begriff der «Werte» auf einen Nenner bringen, bedeutet er übersetzt schlicht «gesund sein». Für den Benediktinerpater und Autor Anselm Grün ist die Schlussfolgerung einfach: «Werte sind Quellen der Gesundheit.» Wer nach Werten lebt, trägt dazu bei, dass nicht nur ein kleines soziales Gefüge gesund ist, sondern auch ein Unternehmen, ein ganzes Land. Somit gedeihen im Austausch miteinander neue Werte für eine sinnhafte und materiell sichere Zukunft.
* Dieser Artikel erschien in der Mai 2015 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.