von Yvonne von Hunnius
Nur eine Bilanz mit gesteigertem Gewinn macht Investoren glücklich. So bringt auch die Erweiterung des privaten Fuhrparks um ein neues Auto neidische Blicke und dem Besitzer grosse Befriedigung. Dass Wachstum Wohlstand schafft und bedeutet, dieses Grundmuster zieht sich durch alle Gesellschaftsbereiche. Und gerade in Krisenzeiten gewinnt Wachstum – beispielsweise der Liechtensteiner Banken – an regelrecht magischer Bedeutung. Dagegen steht eine Erkenntnis, die der ehemalige Liechtensteiner Universitatsrat und renommierte Ökologe Mario F. Broggi in seinem Denkanstoss so formuliert: «Es gibt in unserer physischen Welt mit endlichen Ressourcen kein unendliches Wachstum.»
Zielkonflikte sind vorprogrammiert
Broggi bringt auf den Punkt, was schon lange Inhalt von Lehre und Forschung an der Universitat Liechtenstein ist. Das Dilemma ist altbekannt: Schon im Brundtland-Bericht von 1987 wurde formuliert, was Wachstum konnen muss, um nachhaltig Wohlstand zu schaffen. Dort wird nachhaltige Entwicklung als eine solche definiert, «die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können».
Es gibt in unserer physischen Welt mit endlichen Ressourcen kein unendliches Wachstum.
Dieser Forderung wird unsere Gesellschaft nur selten gerecht. Die Wissenschaftler Martin Angerer und Michael Hanke zeigen in ihrem Beitrag, welche Probleme dies nach sich ziehen kann. Das System der Altersvorsorge ist abhängig von Wirtschaftswachstum und momentan herrschen extrem niedrige Wachstumsraten und Zinsen. Vielleicht ist dies nur eine temporäre Erscheinung. Manche Ökonomen gehen aber davon aus, dies werde zur Normalität, was gravierende Konsequenzen für die Pensionshöhe des Einzelnen hätte.
Intelligentes Wachstum ermöglichen
Es braucht neue Modelle für eine enkeltaugliche Zukunft. Und die meisten Menschen wünschen sich solche, bei denen sie auf möglichst wenig verzichten müssen. Dabei stehen Effizienz und Konsistenz hoch im Kurs. Mithilfe eines effizienten, konsistenten Einsatzes von Ressourcen – beispielsweise durch neue Konzepte oder Technologien – wird besser und schonender genutzt, was zur Verfügung steht. Das könnte langfristig eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenausschöpfung möglich machen. Digitalisierung treibt solche Entwicklungen entscheidend voran. Am Beispiel des Liechtensteiner Start-ups Reachbird von Universitätsabsolventen ist zu sehen: Kluge Köpfe und digitale Technik können den Ressourcenaufwand drastisch minimieren und dabei den Weg für nachhaltiges Wachstum bereiten.
Dabei wird sich auch die Qualität des Wachstums verändern müssen. Der Bevölkerungsanstieg im Rheintal kann laut Hugo Dworzak raumplanerisch nur auf eine neue Art und Weise beantwortet werden. Der Leiter des Instituts für Architektur und Raumentwicklung plädiert für Verdichtung – ein Ende der Trennung zwischen reinen Wohn-, Gewerbe-, Einkaufs- oder Industriegebieten. Das Mehr an Menschen bedarf laut Dworzak der Integration und Durchmischung. Sonst entstehe eine explosive Stimmung statt Lebensqualität.
Quelle für neues Denken
Tatsächlich gibt es einen zaghaften Trend hin zu Modellen, die Qualität statt Quantität im Blick haben. Die Wissenschaftler Leonard Witte und Sascha Kraus sind dem Phänomen des sozialen Unternehmertums nachgegangen. Auch Sozialunternehmern geht es um Wachstum, jedoch weniger um quantitatives als um qualitatives Wachstum. Ihr Ziel ist positiver Wandel. Die Idee findet immer mehr Anhänger unter Vertretern einer neuen Generation, die Beruf und gesellschaftliche Verantwortung eng miteinander verbunden sieht.
Nicht nur hier wird deutlich, welch wichtige Quelle für neue Zukunftsmodelle Hochschulen wie die Universität Liechtenstein sind. Es gilt, sich Zusammenhänge genau anzusehen. Existiert zudem der Freiraum, Denkmuster zu durchbrechen, kann Wachstum neu gedacht und auch der Samen für zukunftsfähige Lösungen gesät werden.
Hinweis: Dieser Text erschien ursprünglich im Wissensmagazin Denkraum im Mai 2016.