von Kornelia Pfeiffer
Thomas und Martin, für euer vielfach ausgezeichnetes Buch NEA MACHINA habt Ihr einen Schriftzug und ein Porträt über 1000-mal variiert. Wer hat wie den Anfang gemacht?
Den Anfang machen wir als Gestalter-Duo meistens gemeinsam – so auch hier. Das ist bei uns immer ein Austausch, was meist besser geht als es ganz allein zu probieren.
Und dann spielt ihr ein endloses Spiel. Der eine ist ein intuitives «Kind», der andere der pragmatisch spiessige «Vater»?
Wenn wir im Entwurfsprozess zu zweit an einem Projekt arbeiten, nehmen wir quasi abwechselnd die Rollen von «Spielkind» und «Spiesser» ein. Der eine experimentiert – der andere bewertet das Gemachte mit und hat ein Auge darauf, dass das Ziel nicht verfehlt wird. Das schafft ein entspanntes Gefühl und bewahrt uns davor, uns zu verirren. So erhält das Spiel klare Grenzen und zugleich ist dafür gesorgt, dass man ein Projekt nicht nur analytisch, sondern auch emotional bearbeitet.
Welche Rolle spielt die Balance zwischen ziellosem Ausprobieren und Ergebnisorientierung?
Es ist immer eine Doppelstrategie und immer ein stetiger Wechsel zwischen «Sich fallen lassen» und «Kontrollieren». Dieser Balanceakt ist eine grosse Herausforderung, er braucht viel Übung und Vertrauen, weil man immer wieder gefordert ist, in das Ungewisse aufzubrechen, wo es eben keine festen Regeln oder vorher gefasste Ziele gibt. Aber es lohnt sich, weil so Dinge auftauchen, die – zumindest für uns selbst – neu sind. Wenn man alles von vorneherein kontrolliert, ist es unwahrscheinlich, positiv überrascht zu werden. Und wenn man die Kontrolle komplett weglässt, verlieren sich die Ideen im Nichts.
Die Neugier, etwas zu probieren, was man noch nie zuvor gemacht hat, ist eine wichtige Kraftquelle und bringt eine gewisse spielerische Leichtigkeit ins Leben.
Und was, wenn ich nur das erkenne, was ich erwarte?
Wenn man nur das für möglich hält, was bereits erprobt ist und was deshalb den vermeintlich sicheren Erfolg verspricht, setzt man der eigenen Kreativität künstliche Grenzen. Das mag ausreichen, um in einem bestehenden System gut zurechtzukommen, ist aber schwierig, wenn man auf Neues stossen will.
Der Designer Stefan Sagmeister sagte einmal, er denke, dass für die meisten schlechten Arbeiten nicht der schlechte Geschmack der Kunden verantwortlich ist – sondern eher die Annahme des Designers, er müsse dem «schlechten Geschmack des Kunden» entsprechen und könne deshalb nicht innovativ sein. Da ist sicher etwas dran und das trifft auf viele Berufe und Lebensbereiche zu.
Wie wichtig ist Neugier für die Welt und das Leben für euch?
Die Neugier, etwas zu probieren, was man noch nie zuvor gemacht hat, ist eine wichtige Kraftquelle und bringt eine gewisse spielerische Leichtigkeit ins Leben. Deshalb mögen wir es, Projekte zu machen, die uns mit neuen Bereichen konfrontieren und uns dabei erst einmal überfordern.
Im Grunde ist das wie beim Joggen: Wenn wir neue Laufstrecken erkunden und nicht wissen, wo wir letztlich landen werden, merken wir die Anstrengung kaum. Dagegen wird die tägliche Stammstrecke oft schon nach zwei Kilometern zur Geduldsprobe. Und bei den Projekten ist es wie mit den Laufstrecken: Die besten Wege finden wir meist dann, wenn wir uns verlaufen.
Als Grafiker arbeitet ihr nicht nur mit der rechten Hand und dem PC. Ihr nehmt Kopf und Bauch und alle Sinne dazu. Wie müssen wir uns das vorstellen?
Leider hat sich in unserem Beruf, wie in so vielen anderen Branchen, ein starres Sitzen am Computer eingebürgert. Darunter leidet nicht nur die interne Kommunikation im Team – es fehlt auch die sinnliche Inspiration. Zudem überwiegt im Alltagsgeschäft meist die Kopfarbeit, da man bestimmte Zielvorgaben erfüllen muss und dafür dem Kopf mehr vertraut als dem Bauch. Wir haben als angewandte Gestalter natürlich genau dieselben Probleme, die sich auch nicht vollends lösen lassen. Allerdings haben wir über die Jahre gelernt, das Bauchgefühl sehr effektiv einzusetzen und handwerkliche Tätigkeiten miteinzubeziehen. Und so wird mal kurz gespielt – dann wieder analysiert, mal mit realen Materialien wie flüssiger Farbe und Papier entworfen – dann das Ergebnis am Computer weiterverarbeitet. Und so weiter.
Wir bemerken dabei, dass die sinnliche Inspiration beim handwerklichen Arbeiten einen sehr positiven Einfluss auf unsere Ideen hat.
Ihr nutzt Denkmodelle von vor 120 Jahren, aber die technischen Mittel unserer Zeit. Seid ihr lieber Künstler oder lieber Dienstleister-Designer?
Wir mögen genau den Kontrast zwischen den beiden «Berufen», weil dieser auch unserer Persönlichkeit entspricht. Einerseits ist die Anarchie und Selbstbestimmtheit des Künstlers grossartig – andererseits liefern uns die angewandten Projekte als Dienstleister eine realistischere Weltsicht und bringen uns mit inspirierenden Menschen und deren Ideen zusammen. Wenn wir uns aber kategorisch für eine Seite entscheiden müssten, wären wir wohl eher Künstler. Aber eigentlich ist die Kombination, so wie sie ist, optimal.
Was braucht es, um ungewöhnliche Ideen auch durchzuziehen?
Ungewöhnliche Ideen erfordern schon den Mut, potenziell nicht jedem zu gefallen und vom üblichen Sicherheitsentwurf wegzugehen. Wenn wir von uns ausgehen, haben uns die Designs oft am nachhaltigsten beeindruckt, die im ersten Moment eher sperrig oder unästhetisch wirkten. Das erfordert natürlich, dass man wirklich sicher hinter seiner Arbeit steht und nicht bei der ersten Kritik einlenkt.
Ungewöhnliche Ideen erfordern schon den Mut, potenziell nicht jedem zu gefallen und vom üblichen Sicherheitsentwurf wegzugehen.
Ihr bietet ebenso Workshops für Unternehmen an, die nichts mit Design oder Kunst zu tun haben ...
Im Moment erleben wir, dass unser Konzept nicht mehr nur von Gestaltern, sondern vermehrt von vielen anderen Berufsgruppen genutzt wird – beispielsweise von Wirtschaftlern, Musikern oder Pädagogen.
In unseren Workshops geht es uns allgemein um das Kultivieren einer freien und geschärften Wahrnehmung – und um ganz klare Strategien, wie wirklich jeder gute Ideen aus der Umwelt ableiten kann. Dabei können innovative Produkte für Unternehmen, Denkmodelle für Psychologen oder Neuentdeckungen in der Wissenschaft das Ziel sein. Jeder sucht dabei Ideen für seinen Bereich.
Vielen Teilnehmern bietet ein Kurs auch eine Art Luftblase, in der sie kreativ und experimentell ausprobieren können, ohne unter dem realen Druck des Alltagsgeschäfts zu stehen. Es ist jedenfalls schön zu sehen, welches kreative Potenzial in vielen vermeintlich «unkreativen» Berufen steckt. Das ist nämlich nicht nur den Künstlern vorbehalten.
* Dieser Artikel erschien ursprünglich in der November 2015 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.