Kaskadische Holznutzung für einen lokalen Rohstoff
Das satte Dunkelgrün eines Nadelwaldes ist ein Bild, dass alltäglich ist und unumstösslich wirkt. Tatsächlich aber hinterlässt der Klimawandel auch beim Wald seine Spuren, in einer Geschwindigkeit, die für dieses langsame Ökosystem nur schwer zu fassen ist. Wie also wird der Wald der Zukunft aussehen und wie kann man ihn weiterhin nachhaltig nutzen? Eine Forschungsarbeit an der Universität Liechtenstein beschäftigt sich daher mit Holztragwerken, welche die klimatisch bedingten Veränderungen des Waldes berücksichtigt sowie eine kreislaufgerechte Nutzung möglich machen sollen.
Bergwälder sind ein prägendes Element der Alpen. Wenn sie nachhaltig bewirtschaftet werden, können sie viele wichtige Funktionen erfüllen. So kann der Wald beispielsweise Schutz vor Naturkatastrophen wie Lawinen oder Erdrutschen bieten, aber auch zur Erhaltung der Ökosysteme beitragen. Laut dem Amt für Wald, Natur und Landschaft bedeckt in Liechtenstein der Wald gar 42% der Landesfläche und wird dadurch zum prägendsten landschaftlichen Merkmal. Da rund 75% der Landmasse Liechtensteins als alpine Region ausgewiesen ist, befinden sich auch grosse Teile der Waldflächen in steilem Gelände. In Liechtenstein werden daher etwa 49% des Waldes als Schutzwald eingestuft. Hier herrschen rauere Bedingungen als im Tal, was sich auf das Wachstum der Bäume und die dort vorkommenden Arten auswirkt.
Eine Waldfunktion hat jedoch seit Mitte des letzten Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung verloren: Der Wald als Quelle für den nachwachsenden Rohstoff Holz. Mit dem wachsenden Druck auf eine gesamthaft nachhaltigere Lebensweise erhält Holz gegenwärtig allerdings wieder einen grösseren Stellenwert in der Gesellschaft. Dies wird auch in der Waldstrategie 2030+ Liechtenstein, welche im Frühjahr 2024 neu herausgegeben wurde, zum Thema: «Die nachhaltige Bereitstellung von Holz bleibt im Sinne einer regionalen Kreislaufwirtschaft jedoch eine zentrale Aufgabe der Waldbewirtschaftung und ist von grossem öffentlichem Interesse.» Durch den fortschreitenden Klimawandel wird sich aber das generelle Waldbild und damit auch die Waldbewirtschaftung verändern müssen. Ein Schweizer Forschungsteam mit Mitgliedern aus der Forstpraxis sowie der Klimaforschung haben daher 2021 eine Baumartenempfehlung für die Zukunft des Liechtensteiner Waldes erarbeitet. Sie veranschaulichen die Entwicklung einzelner Baumarten in Szenarien mit mittlerem und starkem Klimawandel. Die grösste Erkenntnis hierbei ist der deutliche Rückgang der Fichte, dem heutigen «Brotbaum» des Bauens mit Holz und eine Tendenz zu einem Mischwald, mit einem deutlich höheren Laubholzanteil. Allerdings ist ortsspezifisch in Liechtenstein und im regionalen Alpenraum die Qualität des erwirtschafteten Holzes nicht immer optimal. So können in Liechtenstein laut Waldstrategie 2030+ nur etwa 29% davon nach heutigen Normen für langlebige Produkte verwendet werden. Zudem wird nur 1% des liechtensteinischen Holzes in industrielle Holzprodukte weiterverarbeitet. Generell wird mit einem Anteil von 68% das meiste Holz als Energiequelle genutzt. Um den Rohstoff Holz jedoch nachhaltig nutzen zu können, ist eine direkte Verwendung von Energieholz nicht optimal.
Neben dem Wunsch, Holz als nachhaltigen Rohstoff vielfältiger einzusetzen, bedingt die direkte Nutzung als Energieholz ein Ungleichgewicht des CO2-Kreislaufes der Wälder. So speichern diese Kohlenstoff, der erst im Prozess des Zerfalls eines Baumes wieder freigesetzt wird. Das emittierte CO2 eines zersetzten Baumes wird dann von der nächsten Baumgeneration gespeichert. Wenn also Holz geerntet wird, sollte es mindestens für die Lebensdauer einer Baumgeneration genutzt werden, welches bei der direkten Nutzung als Energiequelle nicht gewährleistet wird. Dennoch sollte die Verwendung von Holz als Energiequelle nicht eingeschränkt werden, da es fossile Brennstoffe ersetzen kann. Das Ziel ist jedoch, die Lebensdauer des geernteten Holzes so weit zu verlängern, dass es kohlenstoffneutral wird. Dieser Prozess kann auch als «kaskadische Holznutzung» bezeichnet werden.
«Die thermische Verwertung
von Holz sollte immer nur
den letzten Schritt der
Nutzungskette darstellen.
Auch für Holzabfälle gibt es
Verwendungsmöglichkeiten.»
(Liechtensteiner Waldstrategie 2030+, 2024)
In einer vertieften Forschungsarbeit an der Liechtenstein School of Architecture beschäftigt man sich mit der Analyse möglicher Holztragwerke, um das Potenzial des lokalen Laubholzes in einer kaskadischen Nutzung verankern zu können. So wird das verfügbare Material bewusst als kurzes, krummes oder minderwertigeres Laubholz definiert, um damit den Fokus auf den grossen Anteil von über 90% des Laubholzes zu lenken, welcher zurzeit laut dem Amt für Statistik als Energiequelle genutzt wird. Nach einem systematischen Vergleich mehrerer Holztragwerksystem mit kurzen Teilen liegt nun der Fokus auf dem Fachwerk, einem historisch regional verankerten System, welches vor allem durch seine Einfachheit und dadurch auch seine Demontierbarkeit im Sinne der kaskadischen Nutzung hervorsticht. Im modernen Holzbau kaum mehr verwendet, birgt diese Bauprinzip ein Potenzial für eine Verarbeitung von minderwertigerem Laubholz. Die unendliche Vielfalt an Zusammensetzungen zu einem funktionierenden Tragwerk eröffnet Möglichkeiten für das Einsetzen von Holz mit unterschiedlichen Längen, Dimensionierungen und Qualitäten. Die einfachen Verbindungsstellen können auf die heutigen Erkenntnisse des modernen Holzbaues optimiert werden, um dem Fachwerk neue Optionen zu bieten. Zudem kann das System in Kombination mit natürlichen Dämmstoffen wie Strohlehm oder Hanf zu einem architektonischen Bauteil erweitert werden. Die neuen Farben des Zukunftswalds sind
breit gefächert, von Limettengrün über Olivfarben bis hin zu Moosgrün: ein Mischwald. Ebenso werden neue Wege zur Verarbeitung des Rohstoffes Holz angepasst werden müssen. Das Fachwerk bietet hierfür als Beispiel nur eine von vielen Möglichkeiten um das Potenzial des Laubholzes wieder zu stärken und auch um den Wald weiterhin als nachhaltige Ressource nutzen zu können.
Text: Livia Herle, MSc Arch (Wissenschaftliche Assistentin & Doktorandin, Fachgruppe Handwerk & Struktur)
Dieser Artikel erschien am 4. Juli 2024 in der lie:zeit.
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