uni.liNeuigkeitenMiCAR – Regulierung der Märkte von Kryptowerten: Nachbericht zur ersten Veranstaltung der Reihe „Europarecht Aktuell“

MiCAR – Regulierung der Märkte von Kryptowerten: Nachbericht zur ersten Veranstaltung der Reihe „Europarecht Aktuell“

Es ist ein bedeutender Moment: Die Märkte rund um die Kryptowerte sollen auf EWR-Ebene einheitlich reguliert werden. Der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission zur Regulierung der Märkte für Kryptowerte (Markets in Crypto Assets; MiCAR) ist Bestandteil des Digital Finance Package zur Förderung des Innovations- und Wettbewerbspotenzials des digitalen Finanzwesens im Binnenmarkt.

Die MiCAR befindet sich momentan in der Konsultationsphase, in der es durchaus auch kritische Rückmeldungen gab. Nach entsprechenden Überarbeitungen soll die MiCAR im dritten Quartal 2022 gleichwohl in Kraft treten. Die Zeitvorgabe ist ambitioniert, für Joachim Schwerin von der Europäischen Kommission jedoch gut begründet: „Die MiCAR ist als ein Zeichen gedacht, die Ampel auf Grün zu setzen.“ Der erste Entwurf soll gewisse Pflöcke einschlagen und einen Anreiz zur Diskussion bieten. Ganz in diesem Sinne stand der Themenabend an der Universität Liechtenstein am 2.11.2021. In der Auftaktveranstaltung zur Veranstaltungsreihe „Europarecht Aktuell“ beleuchteten die Referenten in ihren Impulsreferaten verschiedenste Aspekte der geplanten Verordnung.

Dr. Rolf Majcen – Einführung in den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Regulierung der Märkte für Kryptowerte

In den Anwendungsbereich der MiCAR fallen juristischen Personen, die im EWR Kryptowerte ausgeben oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit Kryptowerten erbringen. Kryptowerte zählen im Finanzmarktwesen zu den wichtigsten Anwendungen der Blockchain-Technologie. Der Begriff wird sehr weit formuliert und erfasst aufgrund eines breiten Interpretationsspielraums einen Grossteil der in der Literatur unterschiedenen Token-Kategorien. Explizit vom Anwendungsbereich ausgenommen sind Kryptowerte, die als Finanzinstrumente i. S. d. MiFIDII gelten (z. B.  Security Tokens).
Die grössten Auswirkungen wird die MiCAR auf Emittenten, Dienstleister und Handelsplätze haben. Diese müssen einer Informationspflicht nachkommen und zu ihren Produkten ein Krypto-Whitepaper veröffentlichen. Der Kryptomarkt soll im Sinne eines „Level Playing Field“ möglichst an die Regulatorik der Kapitalmärkte angeglichen werden. Dr. Rolf Majcen begrüsste, dass die Europäische Kommission verhältnismässig schnell auf die zunehmende Akzeptanz des Kryptomarktes reagiert hat. Raum für Diskussion bietet das in Verbindung mit dem Krypto-Whitepaper implementierte Widerspruchsrecht i. S. d. Verbraucherrechterichtlinie. Emittenten müssen Verbrauchern erhaltene Zahlungen innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der Widerrufserklärung erstatten.

Dr. Thomas Nägele, LL.M. – Auswirkungen der MiCAR auf das TVTG

Das Token-Container-Model (TCM) als Herzstück des TVTG – das ist die Kernbotschaft von Dr. Thomas Nägele. Für diesen Regelungsansatz habe man sich entschieden, weil das TCM es erlaube, Rechte in einem Token zu repräsentieren, ohne eine diffizile Differenzierung nach Token-Kategorien – so wie es etwa bei der MiCAR der Fall ist – vornehmen zu müssen. Dr. Thomas Nägele erklärte, dass die meisten Kryptowerte Elemente von verschiedenen Token-Kategorien aufweisen. Dies mache eine klare Abgrenzung in der Regel unmöglich, welche jedoch nach dem technologieneutralen Regelungsansatz des TVTG nicht notwendig sei. Nach dem Regelungskonzept des TVTG sei weiterhin mit der Übertragung des Tokens auch die Übertragung des vom Token repräsentierten Rechts möglich; dies sei bei der MiCAR anders, weil sie das Sachenrecht nicht regele.

Dr. Thomas Nägele betonte, dass der uneingeschränkte Zugang zum EU/EWR Markt (Möglichkeit des „Passporting“) einen wesentlichen Vorteil bringt. Genau in diesem Punkt sieht Dr. Thomas Nägele eine besondere Chance für Liechtenstein als Wirtschaftsstandort. Dienstleister, die bereits als VT-Dienstleister nach dem TVTG registriert sind, könnten von der „Umwandlung in eine MiCAR-Lizenz“ profitieren. Die Verordnung sieht vor, dass Mitgliedstaaten bei Unternehmen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens nach nationalem Recht für die Erbringung von Krypto-Dienstleistungen zugelassen waren, in einem vereinfachten Verfahren lizenziert werden können.

Peter Zickgraf – Kapitalmarktrechtliche Regulierung von ICOs

Im Zentrum des Vortrags von Peter Zickgraf stand die kapitalmarktrechtliche Regulierung von ICOs und die damit verbundene Rechtsfrage, welche Token ein übertragbares Wertpapier i. S. d. MiFID II darstellen. Als unumstritten gilt, dass Investment bzw. Security Token die materiellen Voraussetzungen eines Wertpapiers i. S. d. MiFID II erfüllen. Fraglich ist, ob dies auch für Utility Token gilt. Zumindest für eine Teilkategorie der Utility Token – solche mit Investmentfunktion – lassen sich durchaus überzeugende Argumente aufzeigen. Die MiCAR stellt jedoch ein spezielles Regelungsregime für Kryptowerte dar, weshalb im Ergebnis sämtliche Utility Token – auch jene mit Investmentfunktion – vom Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung erfasst werden. Die Whitepaper-Publizitätspflicht im Zusammenhang mit Kryptowerten entspricht im Wesentlichen dem Regelungsvorbild der ProspektVO. Auf Verfahrensebene wird vom bekannten System der Prüfung und Genehmigung des Offenlegungsdokuments durch die zuständige Behörde abgegangen. Beim Kryptowerte-Whitepaper bedarf es lediglich der Unterrichtung der zuständigen Behörde. Doch wie wird ein solcher Systemwechsel gerechtfertigt? Für Peter Zickgraf lassen sich durchaus Gründe aufzeigen, die für eine solche Deregulierung sprechen. Die MiCAR sehe nämlich ein verschärftes Haftungssystem im Zusammenhang mit dem Kryptowerte-Whitepaper
vor: Emittenten oder Leitungsorgane haften, wenn sie gegen eine Offenlegungspflicht verletzt haben.

Podiumsdiskussion

In der Podiumsdiskussion entstand ein angeregter Meinungsaustausch zur Frage eines etwaigen Verschuldenserfordernis bei Informationspflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Krypto-Whitepaper. Die Diskutanten konnten dem Ansatz einer verschuldensunabhängigen Haftung wenig abgewinnen.  Aus rechtsökonomischen Gründen sei nach Ansicht von Peter Zickgraf eine Haftung ab grober Fahrlässigkeit zu bevorzugen. Dies sei allerdings nicht der internationale Standard; in den meisten Rechtsordnungen gelte eine Haftung bereits für fahrlässige Informationspflichtverletzungen.

Ungeklärt blieb die Frage, wie die MiCAR sich auf Projekte auswirkt, bei denen die Emission dezentral erfolgt und es keinen identifizierbaren Emittenten gibt. Wie wird mit dezentralen Krypto-Börsen (z. B. Uniswap) umzugehen sein? Die Teilnehmenden sprachen sich überwiegend gegen ein – wenn auch nur indirekt – entstehendes Verbot für derartige Dienstleistungen aus.

Der Themenabend beleuchtete einige interessante Aspekte und warf viele spannende Fragen auf. Es bleibt abzuwarten, inwieweit der bestehende Entwurf noch geändert wird und welche Möglichkeiten er für Liechtenstein dann noch bietet.

 

Save-the-date: 1.Dezember 2021

Webinar zur EU-Verordnung über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für Unternehmen (Verordnung 2020/1503). Die Verordnung ist am 10. November 2020 in Kraft getreten und gilt im EU-Raum ab dem 10. November 2021. Sie ist regulatorisch indes «unvollständig» und bedarf eines nationalen Vollzugsgesetzes. In manchen Rechtsordnungen ist im Zuge dessen eine Überregulierung zu beobachten. Dies ist ein Aspekt, der für Liechtenstein als Wirtschaftsstandort eine Chance bietet. Darüber möchten wir Sie gerne in unserem Webinar informieren.