Nullenergiehäuser oder sogar Plusenergiehäuser sind technisch heute kein Problem mehr. Nun kommt die nächste Stufe: die Stadt als Kraftwerk. Im Interview mit Steffen Klatt verdeutlicht Architekt und Stadtplaner Steffen Lehmann, warum Politik, Energieversorger, Hochschulen und Bürger gleichermaßen gefordert sind.
Die Stadt von morgen muss mindestens die Hälfte ihres Energieverbrauchs selber herstellen
– Interview mit Steffen Lehmann
Nullenergiehäuser oder sogar Plusenergiehäuser sind technisch heute kein Problem mehr. Nun kommt die nächste Stufe: die Stadt als Kraftwerk. Dabei sind die Politik, die Energieversorger, die Hochschulen und die Bürger gleichermaßen gefordert, sagt der Architekt und Stadtplaner Steffen Lehmann.
Interview: Steffen Klatt
Die Welt verstädtert. Sind die heutigen Städte aber überhaupt zukunftsfähig?
Steffen Lehmann: Die Zukunft der Menschen liegt in der Stadt. Die integrierte Stadtentwicklung mit einem energetischen und klimabezogenen Schwerpunkt wird in der Zusammenarbeit mit der Politik eine Schlüsselrolle übernehmen, um den Energie- und Ressourcenverbrauch radikal zu reduzieren. Es gilt, das Konzept von „Stadt“ weiterzudenken. Dadurch erhalten Städte neue Aufgaben und Handlungsfelder, die entscheidend dazu beitragen werden, die sogenannte „Low Carbon City” umzusetzen, also die Stadt mit niedrigem Kohlendioxidausstoß. Die sich hieraus ergebenden Herausforderungen sind Teil des, wie ich es nenne, postindustriellen Zustands. Wir finden heute schrumpfende, undynamische Städte Seite-an-Seite mit unzureichenden Investitionen und veralteten Infrastrukturen neben Städten mit Quartieren schnellen Wachstums. Hier benötigen wir umfassende Strategien, wie mit solch demografischen und strukturellen Veränderungen künftig umgegangen werden soll.
Sie haben in Deutschland studiert und als Architekt gearbeitet, jetzt lehren Sie in Australien. Stellt sich die Herausforderung weltweit gleich?
Eine Handlungsnotwendigkeit gilt für Städte weltweit. Der Kontext mag in Australien und in der Asien-Pazifik-Region, in Ozeanien, Amerika und in Europa jeweils ein anderer sein; aber die Frage, wie eine klima- und energiegerechte Stadt aussehen soll, stellt sich heute überall. Im asiatischen Raum stehen die rapiden Wachstums- und Verstädterungsprozesse und die damit zusammenhängenden Migrationsbewegungen im Mittelpunkt. In den USA und in Australien sind es die Strategien zur Bekämpfung und Umkehr der wenig nachhaltigen städtischen Zersiedelung und einer enormen Abhängigkeit vom Fahrzeugen. In Deutschland und anderen Ländern Europas ist es in erster Linie die energetische Anpassung des Baubestandes und die Optimierung der Material- und Energieflüsse. Die Städte sind bereits gebaut. Die Neubaurate liegt bei nur etwa einem Prozent.
Wie kann der Übergang zur „postindustriellen Stadt“ erfolgen?
Grüner Urbanismus ist ein ganzheitliches Konzept für die Stadt von morgen, dessen Basis der konsequent ressourcenschonende Umgang mit Energie, Land, Wasser, Materialien und Mobilität ist. Das langfristige Ziel heißt dabei Zero-Emission und Null-Abfall, also eine Stadt ohne Treibhausgase und Verschwendung. Erreicht wird es über die Zwischenstufe der „Low Carbon City”. Dabei geht es aber immer auch um die Förderung von sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtteilen und –quartieren. Ähnliche Prinzipien wurden in den Stadtteilen Vauban in Freiburg im Breisgau und in Hammarby-Sjöstad in Stockholm, bereits erfolgreich umgesetzt.
Trotzdem werden Städte Energie brauchen…
Klar ist, dass Städte weiterhin die Orte sind, an denen die meiste Energie und ein Großteil der Rohstoffe verbraucht wird und der meiste Abfall entsteht. Die Größenvorteile der Städte geben uns aber zugleich die Möglichkeit, erneuerbare Energiequellen rentabel zu machen.
Wie?
Der Energiebedarf in Städten ist enorm. Es ist deshalb notwendig, unsere Energie- und Verkehrssysteme schnell so umzuwandeln, dass sie weitestgehend – mindestens aber zu 50 Prozent – aus lokalen erneuerbaren Energiequellen gespeist werden können. Der Energiemix sollte dabei auch die Kosten und die Verfügbarkeit der Technologien berücksichtigen. Die Stromproduktion und Energiespeicherung vor Ort kann über ein intelligentes Stromnetz, Smart Grid, übertragen und verteilt werden.
In der Zero-Emission-City wandeln sich Stadtteile vom Energieverbraucher zum Energieproduzenten. Sie werden zu lokalen Kraftwerken und machen sich solare Photovoltaik, solare Wärme und solares Kühlen, Windenergie, Biomasse, Geothermie, Energie aus Kleinstwasserkraftwerken und andere neue Technologien zunutze. Dabei wird sich auch die bisherige Rolle der großen Energieversorger ändern müssen, vom Monopolisten zum Dienstleister.
Selbst wenn Sie das Energieproblem so lösen können, brauchen die modernen Städte nicht dennoch massiv andere Ressourcen?
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist hier das Null-Abfall-Konzept, das ein Stopp der Materialverschwendung und die 100 prozentige Ressourcen-Rückgewinnung beinhaltet. Abfall wird dabei als wertvolle Ressource angesehen, die nicht verbrannt oder vergraben werden darf, sondern vollständig der Wiederverwendung zugeführt wird. Der Materialverbrauch muss vom wirtschaftlichen Wachstum entkoppelt werden. Null-Abfall muß bereits ganz am Anfang, bei der Entwicklung von Produkten und Prozessen berücksichtigt werden.
Reicht saubere Technik?
Es braucht auch nachhaltigen Konsum. Und der bedarf aber auch eines Wandels unseres Wertesystems sowie unseres Verbraucherverhaltens. Der nicht nachhaltige Konsum gerade in den Städten Asiens und hier insbesondere in der Volksrepublik China ist eine der großen ungelösten Bedrohungen, die dringend angegangen werden muss, um eine Versorgungskatastrophe abzuwenden. Allerdings sollte da nicht mit moralischen Gründen argumentiert werden - niemand möchte seine Lebensqualität einschränken. Aus heutiger Sicht ist die zukünftige Entwicklung Chinas noch weitgehend unklar.
Wer muss den Wandel der modernen Stadt vorantreiben?
Fur Bürger ist es entscheidend, an der Umgestaltung der Stadt teilhaben zu können. Ohne politische Unterstützung und Führung wird keine Veränderung stattfinden. Die Akteure der integrierten Stadtentwicklung benötigen volle Unterstützung aus Verwaltung und Politik, um ihre Ideen, Konzepte und Ansätze umsetzen zu können. Die Politik ist daher aufgerufen, schnell zu handeln und Rahmenbedingungen für eine entsprechende Umsetzung zu schaffen.
Sollen also aufgeklärte Politiker ihre Bürger beglücken?
Es gilt, die Akteure vor Ort „mitzunehmen“ und zum Mitmachen anzuregen. Ein wichtiges Ziel ist es, Städte wieder als Lebensraum für vielfältige und lebendige Bevölkerungsgruppen attraktiv zu machen, als Ort der sozialen Integration. Wir sehen in Australien und in den USA seit einiger Zeit einen wachsenden Schwerpunkt auf „Community Values” (Gemeinschaftswerte) und „Place-Making” (Schaffung öffentlicher Orte mit Charakter). Stadtbewohner werden dabei wieder von Konsumenten zu aktiven, engagierten Bürgern.
Welche Rolle spielt die Wissenschaft?
Die Wissenschaft kann sich mit der großen Frage des Stadtwandels und den Bedürfnissen des Gemeinwesens beschäftigen, ohne die Interessen privater Investoren in den Vordergrund stellen zu müßen. Der energetische Umbau der Städte und die damit verbundenen neuen Aufgaben erfordern einen Ausbau der Kompetenzen auf fachlicher und politischer Ebene. Technisches Knowhow gilt es zu verbreiten und Kompetenzen zu entwickeln. Dazu zählt der intensive Erfahrungsaustausch genauso wie der Ausbau der Forschung an den Universitäten. In neu zu gründenden Forschungszentren für nachhaltige Stadtentwicklung und mithilfe von Best Practice-Beispielen sollten Werkzeuge und Indikatoren zur Evaluierung der ökologischen Leistung von Städten entwickelt und Möglichkeiten zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit erforscht werden. Universitäten können bei der energetischen Transformation der Städte als „Denkfabriken“ eine wichtige Rolle übernehmen.
Zur Person:
Dr.-Ing. Steffen Lehmann ist Professor an der Universität von South Australia in Adelaide und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Nachhaltige Stadtentwicklung in Asien und der Pazifikregion. Er leitet das Research Centre for Sustainable Design and Behaviour (sd+b). Seit 2006 ist er Herausgeber des Journal of Green Building. In den 90er Jahren hat er unter anderem an der Gestaltung des Potsdamer Platzes und des Hackeschen Markts sowie der Französischen Botschaft in Berlin mitgewirkt.
Steffen Lehmann spricht am Liechtenstein Congress on Sustainable Development and Responsible Investing über urbane Systeme ohne Abfall.