von Kornelia Pfeiffer
Fiat hat das Erfinden als einer der ersten neu gewagt: Bei der Entwicklung des Stadtwagens Mio fragte der Autokonzern Kunden via Internet, wie für sie das perfekte Stadtauto aussehen soll. Über 10 000 Vorschläge – von smart bis banal – wurden zur Quelle der Inspiration für die Entwicklungsabteilung. Weltweit setzen Autohersteller, Kosmetikhersteller, Spielzeugfabrikaten, Handelsplattformen und sogar Investitionsgüterproduzenten mittlerweile auf die Intelligenz der Masse. Open Innovation oder Enterprise 2.0 heisst diese Art der Zusammenarbeit.
Open Innovation: Was in der Wirtschaft funktioniert, kann auch der Gesellschaft rund um den Bodensee nützen.
Was in der Wirtschaft funktioniert, sollen nun auch die Menschen rund um den Bodensee nützen. Die Internationale Bodensee Hochschule fördert dazu eine deutsch, schweizerisch, liechtensteinische Forschergruppe, die unter dem Titel «eSociety Bodensee 2020» ein Konzept der Open Innovation der Gesellschaft entwickelt. «Wir sprechen da von Innovation aus der Gesellschaft für die Gesellschaft», sagt Oliver Müller, Assistenzprofessor am Hilti Lehrstuhl für Business Process Management der Universität Liechtenstein.
Ideen für brennende Themen
Zusammen mit Kollegen der Zeppelin Universität und der Fachhochschule St. Gallen arbeitet er an einem Handbuch und einem Online Werkzeugkasten für Ideen- und Innovationsplattformen. Ziel ist, Bürger, Vereine, Politik, Verwaltung und Nichtregierungsorganisationen zu Impulsgebern für die Zukunft der Bodenseeregion zu machen. Die Wissenschaftler geben dem Konzept der Open Innovation, das für die Wirtschaft bereits ausführlich analysiert ist, eine neue Richtung. Zusammengefasst in der «Seealemannische Definition». Damit soll sich die Bodenseeregion zum Labor für Problemlösungen entwickeln.
Wer Interesse hat, ist aufgerufen Lösungsideen zu finden für Themen, die in der Region unter den Nägeln brennen: wie etwa der Fachkräftemangel, die alternde Gesellschaft oder die Politikverdrossenheit, die ungleichen Steuer- und Bildungssysteme oder der lückenhafte, grenzüberschreitende öffentliche Nahverkehr. Voraussetzung dafür ist eine Innovationskultur. So will das Forschungsprojekt das Bewusstsein schärfen, wie nützlich es für die Region ist, Innovationsimpulse aufzugreifen und innerhalb Gesellschaft, Politik und Verwaltung weiterzuentwickeln.
Fünf Ansätze sollen die offene gesellschaftliche Innovation in der Bodenseeregion voranbringen: Mittels Lead User-Methode werden Akteure und Meinungsmultiplikatoren gezielt eingebunden. In einem Open Innovation-Werkzeugkasten stehen Methoden, Software und Online-Dienste bereit. Auf Ideen- und Innovationsplattformen können sich Interessierte einbringen. In Veranstaltungen tauschen sich Impulsgeber aus. Ideen-, Umsetzungs- und Qualitätswettbewerbe sollen motivieren, sich mit Fragen, Lösungen und deren Umsetzung zu befassen.
Kluge Impulsgeber sind gefragt
Um zu zeigen, wie der Dialog über die Zukunft funktioniert, sammelt das Forscherteam zehn Erfolgsgeschichten, die im für Ende 2014 geplanten Handbuch nachzulesen sein werden. Kritische Punkte und Probleme eingeschlossen. «Wir wollen vermeiden, dass der Bürgerdialog zu einer Agitationsplattform oder zum grossen Wünsch-dir-was verkommt», sagt Oliver Müller. «Uns geht es um vorzeigbare, konkrete Ergebnisse und darum, dass sich kluge Ideengeber mutig zu Wort melden. Daher analysieren wir auch Risiken, Herausforderungen und Motivation.» Zugleich tragen die Forscher selbst Innovationsimpulse nach aussen.
So lud 2013 das Liechtensteinische Landesmuseum die Museumsbesucher einen Monat lang zu einem Ideenwettbewerb «Du bisch dra!» ein. «Auf der Facebook-Seite des Museums wurden 53 Ideen veröffentlicht, die sehr ausgereift waren», erzählt Projektleiter Oliver Müller begeistert. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie diente als beschleunigendes Werkzeug. Ein anderes Projekt läuft gerade in Friedrichshafen und St. Gallen: Mithilfe von Bürgern und Interessensverbänden wollen die Wissenschaftler neue rollstuhlgerechte Orte auf der Wheelmap hinzufügen. Bislang ist die Bodenseeregion auf der Online-Karte noch untervertreten.
Um einen nachhaltigen Raum für Innovation zu schaffen, muss gesellschaftliche die wirtschaftliche Innovation begleiten.
Zu den Erfolgsgeschichten zählt ebenso der Ideenkanal in Vorarlberg, der ähnlich wie bei einem Businessplan-Wettbewerb Menschen mit sinnstiftenden Ideen sichtbar macht, über öffentliches Crowdfunding finanziert und mittels eines Netzwerkes von Fachleuten bei der Umsetzung unterstützt. Innovation wirkt sich positiv auf das Zusammenleben sowie die Lebens- und Standortqualität aus. «Die Bodenseeregion ist eine Innovationsregion, das gilt für die Wirtschaft genauso wie für die Gesellschaft. Um einen nachhaltigen Raum für Innovation zu schaffen, muss gesellschaftliche die wirtschaftliche Innovation begleiten», ist Oliver Müller überzeugt.
Der Dialog geht übers «Mitmach-Netz»
Die Mitarbeit der «Weisheit der Vielen» im Blick, teilen sich die drei Partner des Forschungsprojekts eSociety Bodensee 2020 die Vorbereitung einer Strategie. Während die Zeppelin Universität die Projektleitung übernimmt und die Universität Liechtenstein Herausforderungen und Risiken zusammenträgt, konzipiert die Fachhochschule St. Gallen den Open Innovation-Werkzeugkasten. Rund 200 Werkzeuge gilt es daraufhin zu prüfen, welche Verfahren und Instrumente wofür geeignet sind. Wie etwa Brainstorming, Feedbackkommentare oder Online-Konsultationen. Das Web 2.0 spielt eine zentrale Rolle, um Erfahrungswissen aufzunehmen, Positionen festzustellen, Akzeptanz für Massnahmen zu fördern. eSociety setzt für das Erfinden der Zukunft der Bodenseeregion auf das «Mitmach-Netz».
* Dieser Artikel erschien ursprünglich in der November 2014 Ausgabe des Wissensmagazins Denkraum.