Text: Heike Esser
Illustration: Alina Sonea
In ihrem Namen wird rebelliert, revoltiert, gestritten und gekämpft, aber sie gilt auch als grösster Garant von Glück und hat es in der westlichen Welt in viele Verfassungen geschafft: die Freiheit. Doch was ist Freiheit, lässt sie sich fassen, bedeutet Freiheit für alle das Gleiche?
Der Freiheitsbegriff, der dem heutigen Verständnis zugrunde liegt, ist rund 300 Jahre alt und stammt aus der Zeit der Aufklärung. So wird Voltaire als Vertreter der Meinungsfreiheit erkannt: «Ich bin nicht eurer Meinung, aber ich werde darum kämpfen, dass ihr eure Meinung ausdrücken könnt.» ¹ Immanuel Kants Freiheitsdefinition hat mit seiner Gleichsetzung von Freiheit und Pflicht alle grossen Rechtsordnungen beeinflusst: «Niemand kann mich zwingen, auf seine Art glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit Anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, nicht Abbruch tut.» ² Vereinfacht formuliert: Die eigene Freiheit findet nur dort eine Grenze, wo sie die Freiheit der anderen oder Gesetze verletzt. Auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat Freiheit als eine Phase ohne Zwang beschrieben, aber unter Einsicht in die Notwendigkeit. Im englischsprachigen Raum gilt noch heute das von John Stuart Mill vertretene Limit, dass «der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmässig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.» ³
Grundrecht
Es besteht ein klassisches Spannungsverhältnis zwischen der persönlichen Freiheit einerseits und der Sicherung der öffentlichen Ordnung andererseits. Während Anhänger des Millschen Liberalismus vor allem die individuelle Freiheit im Wirtschaftsleben fordern, kämpfen Sozialismus und Kommunismus für die Freiheit der Arbeiterklasse von den Folgen der Ausbeutung und Unterdrückung durch kapitalistische Produktionsweisen. Anarchisten lehnen alle Herrschaftsformen, ob demokratisch oder nicht, ab und der klassische Konservativismus sieht die menschliche Freiheit durch Moral und höhere Mächte beschränkt. Freiheit gilt heute als ein Grundrecht, gerade im Bereich der politischen Freiheit. Als Recht der Bürger, sich in politische Diskussionen einzubringen und über ihre Mitwirkung an der politischen Willensbildung Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. «Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können.» ⁴ Diese Wahlfreiheit kann aber durch äussere und innere Umstände beschränkt oder aufgehoben werden, um nicht zu Lasten Dritter zu gehen. Der amerikanische Ansatz des Mill-Limits geht davon aus, dass positive Verhaltensweisen vom Markt belohnt werden und dadurch die allgemeine Moral verbessert wird. Die Stärke dieser Denkweise ist, dass die grundsätzliche Idee von Freiheit als gesellschaftlichem Ordnungsprinzip nicht durch den einzelnen Freiheitsmissbrauch infrage gestellt wird. In Kontinentaleuropa hat im Unterschied zur angloamerikanischen Sichtweise der Staat die Aufgabe, über die Folgen der Freiheitsanwendung zu wachen, schädliche Freiheitsanwendungen zu unterbinden und unerwünschte Folgen des Freiheitsgebrauchs abzumildern oder zu beseitigen.
«Freiheit ist niemals nur die eigene, sondern schliesst das Interesse an der Freiheit des anderen mit ein.»
Grenzen
Wo also sollten die Grenzen der persönlichen Freiheit gezogen werden, was soll als Schädigung anderer gelten und wie gross muss diese sein, um eine Freiheitsbeschränkung zu rechtfertigen? Allgemeiner Konsens besteht darüber, dass die Schädigung über eine gewisse Lästigkeit hinausgehen muss, es für sie keine überwiegenden rechtfertigenden Gründe geben darf und tatsächlich mit ihr gerechnet werden muss. ⁵ Die Überprüfung dieser drei Punkte muss jeweils im Einzelfall erfolgen und das Ergebnis unterliegt einem permanenten gesellschaftlichen Wandel: sei es das Frauenwahlrecht, die Personenfreizügigkeit oder die Freiheit, im Konkubinat zusammenzuleben – was vor wenigen Jahrzehnten noch als unzumutbar galt, kann heute ganz selbstverständlich sein.
Freier Wille
Der Wunsch nach Freiheit wird insbesondere nach erlebter Unfreiheit laut und fordert die Abschaffung der erfahrenen Einschränkungen. Verlangt wird dann, gemäss dem eigenen Willen handeln und zwischen mehreren Alternativen wählen zu können. Die Willensfreiheit definierte Kant als das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen und nicht von sinnlichen Antrieben und äusseren Zwängen bestimmt, sondern selbst Ursprung des Wollens zu sein. Es stellt sich aber die Frage, wie frei der eigene Wille wirklich ist – Beeinflussungen durch Gesellschaft, Wirtschaft und den jeweiligen Zeitgeist sind oft unbewusste Triebfedern. Heute gilt ein Mensch als frei, wenn er sein Leben aktiv lebt, selbst die Risiken seines Handelns trägt, wenn er tun und lassen kann, was er will. Sehr häufig ist damit nur die wirtschaftliche Freiheit gemeint. Sie geht einher mit der Forderung an den Staat, die grossen Lebensrisiken abzusichern, und das übrige Zusammenleben mit möglichst zurückhaltenden Rechtsverordnungen zu regeln. Freiheit ist aber nicht nur ein Anspruch des Einzelnen mit Blick auf seine eigenen Lebensumstände, sie ist zugleich auch ein Massstab für den Umgang mit anderen. Wer Freiheit für sich einfordert, muss diese auch allen anderen zugestehen.
«Es stellt sich die Frage, wie frei der eigene Wille wirklich ist — Beeinflussungen durch Gesellschaft, Wirtschaft und den jeweiligen Zeitgeist sind oft unbewusste Triebfedern.»
Verantwortung
Wer Freiheit erklären will, stellt fest, dass es Freiheit nur als Freiheit von etwas oder als Freiheit für etwas gibt. Gleichzeitig gehören die Unabhängigkeit von fremdem Zwang, die sogenannte negative Freiheit, und die Möglichkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens, die positive Freiheit, untrennbar zusammen. Dabei ist Freiheit niemals nur die eigene, sondern schliesst das Interesse an der Freiheit des anderen mit ein und ist gleichzeitig auch die Basis, jemanden für sein Handeln zur Verantwortung ziehen zu können. Denn nur, wer nach freiem Willen handeln kann, kann für sein gutes oder böses Tun zur Rechenschaft gezogen und belohnt oder bestraft werden. Freiheit ist individuell und genauso individuell sind die Wünsche und Erwartungen des Einzelnen an seine persönliche Freiheit. Was von dem einen bereits als Eingriff in die eigene Entfaltungsfreiheit empfunden wird, gibt einem anderen Sicherheit durch klare Regeln und Strukturen. Ganz frei ist aber niemand, denn keiner hat in der Hand, welche Begabungen, Schwächen oder gesellschaftlichen Veränderungen das eigene Leben bestimmen.
Ist Freiheit also eine Illusion? Diese Frage wird seit der Antike immer wieder gestellt und ist zu bejahen, wenn sie als absolute Freiheit verstanden wird, denn bestimmte Möglichkeiten zu ergreifen, heisst stets, auf andere zu verzichten. Bedeuten mehr Möglichkeiten auch immer eine grössere Freiheit oder können sie sich als Fallstricke erweisen, um die herum die eigene Freiheit gesucht werden muss? Freiheit ist keine messbare Grösse, sie lässt sich nur als Nichtmüssen oder als Dürfen beschreiben. Aber was passiert mit der Freiheit, wenn sie keiner nutzt?
¹ Norbert Guterman: A Book of French Quotations
² www.korpora.org/Kant/aa08/290.html
³ John Stuart Mill: On Liberty ( Über Freiheit )
⁴ Wikipedia, Schlagwort «Freiheit»
⁵ Josef Isensee, Paul Kirchhof: Handbuch des Staatsrechts
*Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der November 2017 Ausgabe des Denkraum Magazins.