Vertrauen in gesellschaftlich relevante Institutionen hat einen ambivalenten Charakter. Einerseits ist es eine notwendige Bedingung für das Funktionieren eines (demokratischen) Staatswesens. Andererseits wird von kritischen, mündigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern ein «gesundes Misstrauen» erwartet und als demokratische Skepsis insofern auch positiv bewertet.
Vertrauen in Institutionen
Die den Befragen vorgelegte Liste umfasst eine Auswahl an Organisationen und Einrichtungen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, staatliche Verwaltung und nichtstaatliche Organisationen wie NGOs. Sie alle haben aufgrund ihrer gesellschaftlichen Funktion einen besonderen Einfluss.
Die Rangliste zeigt, dass generell bei den Befragten das Vertrauen in die abgefragten Organisationstypen und Akteurinnen und Akteure relativ gross ist (siehe Tabelle 39). Von den 23 vorgegebenen Institutionen werden lediglich sechs von mehr als 25 Prozent negativ betrachtet. Am schlechtesten schneiden dabei grosse Unternehmen im Ausland ab, denen 58 Prozent wenig oder sehr wenig Vertrauen entgegenbringen. Ähnlich negativ werden christliche Kirchen und Online-Medien gesehen (jeweils 45 Prozent negative Einstellungen), gefolgt von klassischen Medien mit 37 Prozent, der EU mit 34 Prozent und der Europäischen Zentralbank mit 29 Prozent negativen Stellungnahmen.
«Uns interessiert wie viel Vertrauen Sie den folgenden Gruppierungen und Organisationen entgegen bringen?»
In abgeschwächter Form und bei diesen Beschreibungen vom Mittelwert ausgehend, lässt sich folgern: Im Durchschnitt vertrauen die Jungen am ausgeprägtesten der Polizei. Fast ein Viertel der Befragten hat sehr viel Vertrauen in die Polizei, beinahe die Hälfte hat viel Vertrauen. Weitere staatliche Institutionen wie Gerichte oder der Europäische Gerichtshof sind ebenfalls hoch angesehen.
Wiederum vom Mittelwert ausgehend, folgen an zweiter und dritter Stelle der Erbprinz sowie der Fürst. Ein Viertel hat ein sehr grosses Vertrauen in das Staatsoberhaupt und den amtsausführenden Stellvertreter des Fürsten. 3 von 10 Personen schenken ihnen zudem viel Vertrauen, lediglich etwa 15 Prozent haben weniger oder sehr wenig Vertrauen.
Betrachtet man die weiteren politischen Institutionen, wird deutlich, dass ihnen vergleichsweise wenig Vertrauen entgegengebracht wird. So befinden sich der Landtag und die Regierung, was das Vertrauen angeht, an zehnter und elfter Stelle. 7 bzw. 8 Prozent der Befragten bringen diesen beiden politisch relevanten Institutionen sehr viel Vertrauen entgegen; etwas weniger als jeweils die Hälfte der Befragten hat viel Vertrauen. Lokale Parteien bzw. generell politische Parteien folgen an 16. und 17. Stelle. Letztere geniessen lediglich bei 20 Prozent der Befragten Vertrauen, über die Hälfte, 53 Prozent, antwortet mit «teils». Etwas besser schneiden Gewerkschaften und Interessensverbände ab.
Deutlich wird bei den Jungen damit eine Skepsis gegenüber Parteiinstitutionen und institutionalisierten Interessensvertretungen. Die Ausnahme bildet das «überparteiische» Staatsoberhaupt und sein Nachfolger. Ein generelles Misstrauen politischen Organisationen gegenüber kann daraus aber nicht geschlossen werden: so geniessen Umweltschutz- und Menschenrechtsgruppen bei über der Hälfte der Befragten Vertrauen.
Relativ viel Vertrauen geniessen abseits der politischen Organisationen die grösseren wirtschaftlichen Akteurinnen und Akteure im Fürstentum. Die lokalen Banken stehen im Vertrauensranking an siebenter Stelle. An die neunte Stelle gereiht sind die grossen Unternehmen im Inland. Ihnen vertrauen die Jungen mehr als etwa dem Landtag, der Regierung, den Parteien oder den Gewerkschaften und anderen Interessensvertretungen. Es sind aber nur die lokalen Unternehmen, die Vertrauen geniessen. Grossen Unternehmen im Ausland bringen lediglich 6 Prozent der Befragten Vertrauen entgegen. Das Vertrauen in die Institutionen unterscheidet sich vereinzelt je nach Geschlecht, politischer Einstellung, Schicht und Migrationshintergrund der Befragten.
Junge Frauen vertrauen eher als junge Männer Interessensverbänden und Menschenrechtsgruppen sowie der Europäischen Zentralbank. Männliche Befragte haben im Gegensatz zu den weiblichen Befragten ein höheres Vertrauen in die Polizei.
Betrachtet man das Vertrauen vor dem Hintergrund der politischen Einstellung, zeigt sich, dass Konservativ-Traditionelle deutlich öfters dem Fürst vertrauen als sozial-liberale Befragte und noch mehr als grün-progressive; dasselbe trifft auf den Erbprinz zu. Bei konservativ-traditionellen Personen ist die Skepsis gegenüber der EU und Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen am stärksten.
Dafür ist das Vertrauen von Konservativ-Traditionellen in die katholische Kirche grösser als bei Sozial-Liberalen und Grün-Progressiven, die ein ähnliches Antwortverhalten zeigen. Ebenso vertrauen Konservativ-Traditionelle in höherem Ausmass den lokalen Parteien. Grün-Progressive sind schliesslich am kritischsten gegenüber der Polizei eingestellt.
Auch bezüglich der Schichtzugehörigkeit gibt es signifikante Unterschiede: Befragte aus der mittleren Schicht bringen dem Landtag und lokalen politischen Parteien am meisten Vertrauen entgegen, ebenso den christlichen Kirchen. Den Vereinten Nationen gegenüber am vertrauensvollsten eingestellt sind Angehörige der oberen Schicht. Auffallend ist, dass Befragte aus der unteren Schicht bei vielen Institutionen die «teils/ teils»-Kategorie wählen, etwa bei der EFTA oder dem Europäischen Gerichtshof.
Befragte mit Migrationshintergrund «sonstiges Ausland» haben einigen Institutionen gegenüber weniger Vertrauen als Befragte mit anderem Migrationshintergrund. So sind sie am skeptischsten eingestellt gegenüber dem Landtag, lokalen politischen Parteien, politische Parteien generell, der Europäische Zentralbank sowie den klassischen Medien (Druck, Fernsehen).
Exkurs: Wichtige Player im Lande, Erfahrungen mit sozialer Ungleichheit und Vetternwirtschaft
Auf die Frage, welche Akteurinnen und Akteure im Land von Bedeutung sind, weisen die Antworten beider Gruppengespräche in eine gemeinsame Richtung: «Die Grossen, die Geld haben oder diejenigen, die Böden besitzen.» Ungeachtet dessen, ob dies nun Personen, Familien oder Unternehmen sind, wird die ökonomische Stärke als besonders bedeutsam betrachtet. Sie bringt aus Sicht der Jungen zum einen auf der Unternehmensseite Wirtschaftskraft, die Arbeitsplätze schafft und verhalf respektive verhilft dem Land zum bestehenden Wohlstand. Zum anderen wird von den Jungen in der eigenen Gemeinde dominantes politisches Gebaren von Einzelpersonen erlebt, die Unterfangen aufgrund ihrer Einflüsse zu torpedieren oder durchzusetzen wissen. Darüber hinaus werden auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene Erfahrung und Bedeutung der Herkunft, die Zugehörigkeit und das Kapital der Familie erwähnt, die machtvoll Zugänge und Chancen der Jungen in ihrer Bildung und auf dem lokalen Arbeitsmarkt eröffnen oder behindern.
Vitamin B: Individuelle Erfahrungen der Jungen
Alle in den Gesprächen Involvierten haben in ihrem Leben Benachteiligung oder Begünstigung in Liechtenstein aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Familie und ihres Namens erfahren. Sie sind sich bewusst, dass sie Teil eines verwobenen Macht- und Dominanzsystems in einer der reichsten Gesellschaften der Welt sind. In diesem Rahmen zeigen die Interviewten alle ein recht grosses Gespür für soziale Ungleichheiten im Lande. Die Schichtung der liechtensteinischen Gesellschaft auf hohem Wohlstandslevel manifestiert sich in den Alltagswelten der Jungen und wird entsprechend unterschiedlich erlebt. Am prominentesten wird sie in der jeweils eigenen Bildungsbiografie erfahren. Dort schreiben sich die Empfindlichkeiten für Ungleichheit und Wahrnehmung ein. Diese Erfahrungen verdeutlicht den Jungen ihre eigene Situierung in der Gesellschaft im Lande.
«Es ist einfach schwer, wenn du nichts Gutes gelernt hast, irgendetwas zu machen, wo du gut verdienen kannst. Und ich habe das Gefühl, dass das so ein bisschen die Zukunft ist. Dass du eher etwas richtig Gescheites lernen musst, wozu jetzt halt einfach nicht jeder die Möglichkeit hat. Und sonst [...] musst du dir etwas sehr Gutes einfallen lassen.»
Auffällig ist, dass allen interviewten Jungen ungeachtet der Schichtzugehörigkeiten eine grosse Selbstsicherheit gemein ist. – Wohl nicht zuletzt deshalb haben sie sich selbst als potenzielle Gesprächsteilnehmende in der Onlinebefragung angeboten. – Mit diesem Bewusstsein und einem wachsamen Geist setzen sich die Jungen mit ihrer sozialen Position, ihren Chancen und ihrem Potenzial auseinander. Sie engagieren sich entsprechend aktiv und umsichtig für ihre Ausbildung und suchen überlegt eine zukunftsfähige Karriere. Einige setzen dabei auf eine gezielte Optimierung und Initiative der eigenen Berufsqualifikationen. Motivation dafür ist – nebst des Bedürfnisses eine «gute Ausbildung» zu haben – oft Lerneifer und Neugierde, da trotz guter Bezahlung und teilweise auch Verantwortung, mehr Herausforderungen in der Arbeitswelt gesucht werden. Not tut die stete Optimierung der eigenen Berufsqualifikationen gegen, die Angst, den Anforderungen im Job und der Konkurrenz aus dem Ausland nicht gewachsenen zu sein. Kritisch wird dabei ein solches Engagement und die eigenen Chancen auf dem lokalen Arbeitsmarkt allerdings auch immer wieder infrage gestellt.
«Ich habe es schon so erlebt in der Familie, dass irgendwelche anderen Leute vorgeschickt worden sind, weil sie irgendwo ein Verwandtschaftsverhältnis hatten zu jenen, die dort bereits beschäftigt sind. Aber das war nicht irgendwie anhand der Qualifikation. Im Prinzip bringt es eigentlich nicht wirklich viel, wenn du da den besten Studienabschluss hast, wenn dann nachher einfach der Neffe den Vorrang kriegt, weil er halt der Neffe ist.»
Die Wege ins oder im Berufsleben verlaufen je nach familiärer Prägung und Schulabschluss unterschiedlich: Den meisten ist allerdings gemein, dass sie sich mit einer einfachen Ausbildung nicht zufrieden geben, weitere allenfalls über Umwege und Einsätze in der Arbeitspraxis oder mittels Unterstützung von Bildungsgeldern bereits in Angriff genommen haben oder anstreben. Nicht nur der Einstieg, sondern auch die Erfahrungen in der Schule und am Arbeitsplatz der Jungen variieren: Benachteiligungen zeigen sich z.B. als Mobbing in der Schule, das ohne familiären Schutz und aufgrund einer bildungsfernen Herkunft zu einem Abgang vom Gymnasium führt. Begünstigungen lassen sich im Gegenzug exemplarisch bei der Suche nach Praktikumsplätzen zeigen. Gerade solche Jobchancen sind schwierig zu ergattern.
Ein familiäres Beziehungsnetz wird dabei als sehr hilfreich erlebt.
«Ich habe es jetzt von der anderen Seite ein bisschen kennengelernt. Nach der Matura habe ich zwei Praktika gemacht und ich bin halt zu Firmen gekommen, die keine Praktikumsstellen anbieten. Aber meine Eltern haben dort die Leute gekannt und dann ist das dort gut gelaufen und ich bin da reingekommen.»
Besonders mit Stolz erfüllt, berichten die Jungen ungeachtet ihrer Herkunft, wenn sie einen Arbeitsplatz gefunden haben, der jenseits des familiären Dunstkreises liegt. Es gilt als besonderes Erfolgserlebnis in den beiden Gesprächsrunden, wenn eine Stelle «einfach so», wegen der eigenen Fähigkeiten, ohne Beziehungsnetz gefunden wird. Das gibt ein grosses Selbstbewusstsein.
«Ja, also, ich habe einfach eine Lehrstelle gefunden. Ich musste nicht ein Formular ausfüllen, ich habe einfach einen guten Eindruck gemacht. Ich war bei Hilti [...] und dann im Mai habe ich einen Job gesucht und habe direkt einen gefunden. Auch nur eine Anfrage, ein Angebot.»
«Ja, du kannst eigentlich nichts dafür. [...] Ich bin extra in einen Betrieb gegangen, wo niemand von meiner Familie ist. Weil ich finde das irgendwie [...] du erwähnst, dass du jetzt dort die Lehrstelle hast. Und nachher kann man sagen: Ja, sie hat sie eigentlich nur, weil ihr Vater dort arbeitet. Dann weisst du ja nicht, ob sie dich als Person wollten, oder weil sie dich fast einstellen mussten. Oder was dann jeweils im Interview gelaufen ist [...] und darum bin ich eigentlich extra von den Firmen weg, wo meine Eltern arbeiten oder wo meine Schwester die Lehre macht. Einfach, damit sie nur mich kennen.»
Herausfordernder Einstieg in die Berufswelt
Die Jungen in beiden Gesprächen zeigen sich derweilen fast desillusioniert ob der Crux, dass fehlende Arbeitserfahrung nach Studium oder Lehre als Kriterium bei einer Anstellung oder Absage eingesetzt wird. Dabei wird von den Interviewten der als ungleich erfahrenen oder beobachteten Behandlung bei der Suche nach Arbeits- oder Praktikumsplätzen eine untergeordnete Rolle zugesprochen. Es tauchen diese und weitere Schwierigkeiten in den Übergängen von der Ausbildung zur Berufstätigkeit in unterschiedlicher Ausprägung immer wieder auf. Sie werden oft von einer Angst begleitet, dass die eigenen oder die im Lande vorhandenen Arbeitsplätze entweder durch eine «billigere» Arbeitskraft aus dem Euro-Raum ersetzt oder in «ein weniger teures Land» verlagert werden.
Die erlebten und erzählten Ungleichheits-Erfahrungen der Jungen gerade auf der Suche nach einem Praktikum oder Einstiegsjob nach Ausbildung oder Studium werden als gegeben hingenommen. Eine erhaltene Absage mit der fehlenden familiären Schützenhilfe zu begründen, erscheint ihnen zwar schwierig. Aber die Erfahrung trotz sehr guter Noten keine Stelle zu finden, wenn im Gegenzug weniger gut ausgewiesene Kolleginnen und Kollegen aus scheinbar passenderem Hause einen Job finden, lässt für die Jungen diesen Schluss nachvollziehbar werden.
«Mehr Praxiserfahrung [...] wenn man einfach die ganze Zeit im Studium ist. Ich habe die Handelsschule abgeschlossen als Jahrgangsbester, aber nicht einmal so einen Büro-Job gefunden, weder in Österreich noch hier.»
Nichts destotrotz zeigen sich alle jungen Interviewten sehr karrierebewusst und fleissig, die Benachteiligten oder weniger Begünstigten suchen kämpferisch ihren beruflichen Aufstieg oder absolvieren dank Bildungsgeldern ein Studium.
Dabei nehmen sie die soziale Ungleichheit ohne Reklamation hin. Je nachdem aus welcher Position und Perspektive gesprochen wird, bezeichnen Junge ihre Position als «Glück» oder «Pech».
Hilti – Symbol für Wirtschaftskraft, Arbeitsplätze und Zukunftsängste
Namentlich wird in Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Stärke des Landes von den Jungen wiederholt die Firma Hilti erwähnt. Dabei ist nicht immer klar, ob Hilti symbolisch für die erfolgreichen, internationalen Unternehmen der Region steht und/oder Hilti als eigene Marke mit grosser Ausstrahlungskraft begriffen wird. In die Diskussion mischen sich auch immer wieder einzelne Aussagen zu anderen Grossfirmen und deren Innovationskraft und finanzielle Stärke im Lande.
«Es wird keine Produktionsstellen mehr geben: Es ist so. Es gibt sie immer weniger. Sie «sourcen» es aus oder sie nehmen einfach jemanden, der billiger ist.»
Die Berührungspunkte der Jungen mit der Firma Hilti sind unterschiedlich: sie reichen von einem Angestelltenverhältnis, einer gescheiterten Bewerbung bis hin etwa zur Frage von Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland, ob allfällige Beziehungen bestünden und eine Jobvermittlung möglich wäre. Dazu kommt die Bekanntheit von Hilti, die Resonanz auch bei den Jungen auslöst und die kaum übersehbare Sicht- und Greifbarkeit des Unternehmens im räumlichen Setting des Landes.
Einig sind sich alle Jungen der beiden Gruppen, dass die Firma Hilti ein wichtige Rolle in Liechtenstein einnimmt als gegenwärtige Arbeitgeberin und massgeblich zum Wohlstand des Landes beigetragen hat.
«Ja, sie bringen halt Geld.»
«Wenn Hilti nicht wichtig wäre, würde sie nicht so eine Industriezone durchboxen. So Zeug. Der Betrieb hat sicher eine Relevanz für das Land.»
Was die Zukunft der Firma betrifft, malt die zweite Gruppe im Gegensatz zur ersten ein düsteres Bild und erzählt von ihren Ängsten, dass Hilti aus Liechtenstein wegzieht. In diesem Zusammenhang kommen die Gesprächsteilnehmenden auf ihre eigenen Befürchtungen zu sprechen und fragen sich, ob sie künftig mit ihren Fähigkeiten noch gebraucht oder attraktiv für einen Arbeitgebenden sein könnten.
Einig ist sich vor allem die zweite Gruppe in ihren Zukunftsängsten bezüglich eines Wegzugs von Hilti aus dem Land. Die Jungen sehen war historisch den Wert der Firma und werden punktuell mit deren symbolischer Rolle konfrontiert, doch sehen sie aus ihrer Warte keinen Grund für die Firma in Liechtenstein zu bleiben. Sie befürchten einen Wegzug.
«Automatisierung (lacht) genau, Industrie 4.0 [...] mit dem braucht es eigentlich nicht mehr die ungelernten Hilfsarbeiter oder die Temporären. Es ist eigentlich nur noch aus Goodwill, dass die da sind. Sie muss immer mehr zeigen: Ja, wir sind aber speziell. Wir sind Hilti. Im Weltmarkt, um ihre Preise, die höher sind, zu rechtfertigen. Weil sie könnten genau das Gleiche in Polen herstellen oder sonst irgendwo oder auch in Deutschland oder Österreich. Die Unterhaltskosten und die Lohnkosten wären viel billiger. Und wegen dem wird das Produkt nicht viel schlechter.»
«An einer Maschine stehen und die irgendwie kontrollieren? Dafür brauchst du keinen Liechtensteiner, der einen super Lohn hat. Das kannst du in Polen machen oder im Ostblock. Und eben, dort sage ich, man sollte sich als Junge, oder wir sollten uns engagieren, um eben uns auf eine Art bewusst zu machen: Wenn wir das nicht sehen oder nicht etwas ändern, um unseren Arbeitsplatz oder Wirtschaftsplatz Liechtenstein wieder attraktiv zu machen für Grossunternehmen, dann wird es in ein paar Jahren nicht mehr so aussehen, dass wir hier das Schlaraffenland haben. Sondern dann haben wir einen teuren Lebensstandard und keine Löhne. Oder eine höhere Arbeitslosenquote. Ich weiss nicht, wie unser Land das dann packt.»
An ihren Arbeitsplätzen werden die Jungen vor allem von Kollegen und Kolleginnen des benachbarten Österreich auf ihren Wohlstand und ihr hohes Einkommen quasi «im Schlaraffenland» angesprochen. Alle Jungen kennen solche Konfrontationen mit Klischees zum Reichtum im Lande aus verschiedenen Begegnungen. In solchen Situationen folgen eine Abgrenzung und klare Zurückweisung. Dabei ist auch diese Diskussion geprägt von Herausforderungen der Zukunft für die Gesellschaft und der Frage wie Wohlstand und Arbeitsplätze gewahrt werden können.
«Grenzgänger haben natürlich den Vorteil, dass sie nicht mit so einem hohen Lohn einsteigen. Weil wenn ich in Dornbirn wohne, sind meine Unterhaltskosten viel niedriger, als wenn ich in Liechtenstein wohne. Das heisst, ich bin auch mit weniger Geld zufrieden. Jetzt bei den Fachkräften vielleicht nicht, aber beim einfachen Arbeiter. Also, Fachkräfte, bei studierten Jobs, bei den Verwaltungsräten oder Produktionschefs oder so, halt in den hohen Positionen, dort macht es nicht einen so grossen Unterschied. Aber beim einfachen Arbeiter oder beim einfachen Maschinenbediener, würde ich ein Problem sehen, weil wenn die das immer outsourcen oder andere Grenzgänger bevorzugen, weil sie eben billiger das Gleiche erbringen, geht bei uns im Land einfach mal die Schere auf zwischen arm und reich.»
«Man sollte halt auch schauen: Wie bringt man die Liechtensteiner in Jobs rein. Oder halt: Wie kann man das langfristig? Momentan haben wir ja kein Problem mit der Arbeitslosenquote. Aber wie bringen wir das langfristig hin?»
Exkurs: Das Fürstenhaus — volksnah und doch eine andere Welt
Die Vertrauensrangliste der Institutionen der Politik und Wirtschaft wird in beiden Gruppen vor und nach dem Vorlegen der Ergebnisse der Onlinebefragung diskutiert. Dabei sind Jungen über die beiden an der Spitze der Liste Rangierenden, den Erbprinz und den Fürst, wenig überrascht. In den Gesprächen zeigt sich denn auch keine grundlegende Kritik am Status des Fürsten oder des Erbprinzen. Im Gegenteil werden vor allem dem Erbprinz aufgrund seines «volksnahen» und «ganz normalen Verhaltens» trotz Stellung zuoberst in der Monarchie viele Sympathiepunkte zugesprochen. Diese als alltäglich geltenden Praktiken und unprätentiösen Verhaltensweisen des Erbprinzen werden von den Jungen genau beobachtet und bisweilen auch mit Stolz und Achtung diskutiert.
«Ja, er könnte noch viel despotischer tun. So wie der Herr Kim Jong-Un oder so. Keine Ahnung, ich weiss nicht. Der ist schon volksnah, stimmt schon.»
«Also, wenn man es mit der Schweiz vergleicht. Ich wohne ja in Bern als Wochenaufenthalter. Dort, am Bundesplatz, als jetzt zum Beispiel gerade der Cassis gewählt worden ist, war das abgeriegelt, da kam niemand auf die Idee, nachher zu den Leuten nach draussen zu gehen und etwas zu erzählen. Da stand das Militär davor und es war komplett abgeriegelt. Und bei uns ist es so, der Fürst, der mächtigste Mann des Landes, geht einfach umher, geht mal joggen.»
Es sind dann eigene Beobachtungen oder Kenntnisse vom Hören-Sagen, die etwa von der Verköstigung des Monarchen am Kebab-Stand handeln, die das Bewegen des Erbprinzen ohne Leibwächter im öffentlichen Raum in den Blick nehmen oder das Jogging des Thronfolgers bewundernd erwähnen. Persönliche und direkte Berührungspunkte zwischen dem Fürstenhaus und den Jungen gibt es auf dieser Ebene – jenseits der Jungbürgerfeier – kaum.
«Ich habe nie viel Kontakt gehabt. Am 18. [Geburtstag] kann man jeweils ins Fürstenhaus, dann halt seine Formel aufsagen und die Hand schütteln. Das habe ich gemacht. Das ist wunderbar gewesen.»
«Für mich ist er eigentlich eher volksnah, dass er beim Fürstenfest dabei ist: Man kann zu ihm gehen. Und wenn man jetzt nicht «Ihre Durchlaucht» sagt, sondern «Hoi», ist es nicht schlimm. Man wird deswegen nicht getötet.»
Sobald es um die formalere und öffentlichere Praxis des Erbprinzen geht, fallen die Aussagen etwas differenzierter aus. Die Jungen wissen zwar von der Monarchie und der Etikette des Fürstenhauses, lesen oder hören an offiziellen und zu besonderen Anlässen vom Fürsten oder Erbprinzen aus Distanz. Einen direkten Kontakt gibt es in diesem Zusammenhang jedoch kaum. Entsprechend befremdend und distanzierend nehmen dann die Jungen die wenig direkt erlebten offizielleren Auftritte wahr. Sie werden an solchen Anlässen dann bisweilen von ihren Eltern daran erinnert, dass sich ein gewisses distanziertes und ehrwürdiges Verhalten gegenüber dem Fürstenhaus «einfach gehört» und «Anstand» sei und vermuten einen «Generationenunterschied». In diesem Zusammenhang diskutieren die Jungen dann auch über die Rede des Erbprinzen in deutscher Standardsprache.
«Er redet ja zum Beispiel Hochdeutsch. Das verstehe ich auch nicht, wieso man bei uns im Land Hochdeutsch redet, wenn man der Fürst von Liechtenstein ist.»
Dabei wird die Mutmassung vor allem in der zweiten Runde laut, dass vielleicht im Privaten der Fürst und seine Familie doch auch «ein bisschen Dialekt» sprechen würden. Das führte dann allerdings wieder zu ganz anderen Schwierigkeiten der innerkulturellen Zugehörigkeiten und Abgrenzungen, der ungelösten Frage, um welchen Liechtensteiner Dialekt es sich dann wohl handeln würde und schliesslich zur Folgerung, dass die Standardsprache für das Fürstenhaus vielleicht doch nicht ganz so schlecht wäre und es sich wohl auch so gehöre für das Fürstenhaus.
Nebst diesen positiven und unproblematischen Ausführungen werden zwei Aspekte in Zusammenhang mit dem Fürstenhaus etwas ambivalenter und auch emotionaler erörtert. Zum einen sorgt die politische Funktion, besonders das Veto- und Sanktionsrecht des Fürstenhauses in beiden Gruppen für Gesprächsstoff. Es widerspricht dem freiheitlich-demokratischen Verständnis der meisten anwesenden Jungen und bringt die Frage mit sich, weshalb sich ein Oberhaupt, das ja auch «ein Mensch ist», über die Regierung stellen kann. Damit einher geht auch eine gewisse Verwirrung ob der Staatsform mit Aspekten der Monarchie und der Demokratie. Die Kritik an diesem Recht des Monarchen wird in der Diskussion jedoch immer wieder relativiert, da es ja fast nie zum Einsatz komme und der hiesige Monarch ja kein Despot, im Sinne eines «Kim Jong-Un»-Typen sei. – Diese Kommentare und Vergleiche zu Nordkorea und dessen Führer sind wohl auf prominente mediale Verhandlungen zum Zeitpunkt der Interviews zurückzuführen. – Zum anderen wird der Einsatz oder die Androhung des Gebrauchs des Vetorechts im Zusammenhang mit der Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbruch von einigen der jungen Frauen in der ersten Gruppe kritisiert. Sie machen sich dabei für das Recht auf einen progressiveren und freien Umgang mit dem eigenen Körper stark und betonen, dass in solchen Situationen das Fürstenhaus als «schwierig» empfunden würde. Dabei wird gemutmasst, dass ein dieser politischen Debatte ähnliches Seilziehen um progressivere Ansichten gewisser Teile der Bevölkerung und konservativere Ansichten des Fürstenhauses und seiner Anhängerschaft wohl früher oder später wieder auf das gesellschaftspolitische Tapet kommen werde. Auch diese kritischen Einwände stimmen nicht mit einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Fürstenhaus oder dem Erbprinzen überein. Denn das «Konzept Fürst und die Person des Erbprinzen» wird trotz geäusserter Kritik als Sicherheit spendend oder «ganz ok» betrachtet.
«Ich finde noch interessant, und zwar irgendwie die Person des Erbprinzen und das ganze Konzept, den Fürsten zu haben. Also, weil eben: So lange er ruhig ist und nichts macht, ist es uns ja eigentlich egal und es betrifft uns nicht. Oder? Und dann kann man schon sagen: Okay, ich habe Vertrauen, das macht er super. Er meldet sich nicht.»
«Das Konzept Fürst, (...) das ist eine Sicherheit. Aber es ist einfach das Risiko immer da, dass wenn der Nächste kommt, der dann der Kim Jong- Un würde, oder? Und es wird halt erst dann ein Thema. Weil es erst eben dann die Leute betrifft.»
Abschliessend lässt sich wohl festhalten, dass die Identitätspolitik der Monarchie bei den Jungen ankommt. Die Nähe und Sympathie auf der alltäglichen Ebene wird durch unkompliziertes und wenig prätentiöses Auftreten gefestigt. Die institutionelle Repräsentation wird durch formale Distanz an den wenigen offiziellen Auftritten erlangt. Die politischen Rechte und Verankerung wird derzeit wenig diskutiert, da kein akutes Diskussionsthema ansteht. In der jetzigen Situation vermittelt das Fürstenhaus den Jungen Sicherheit, Vertrauen und gibt wenig Anlass zu Kritik.