In ihrer Antrittsvorlesung mit dem rätselhaften Titel «Der Falschspieler mit dem Karo-Ass. Eine Tour durch Wirtschaftsstrafrecht, Compliance und Digitalisierung» erläuterte Prof. Papathanasiou zunächst die Bedeutung des Strafrechts und stellte den Zweck der Strafe im Allgemeinen dar. Inspiriert durch das Barock-Gemälde «Der Falschspieler mit dem Karo-Ass» des Louvre-Museums führte Prof. Papathanasiou aus, dass der Betrug in der Szenerie des französischen Malers George de la Tour ein typisches Vermögensdelikt sei, das aber unter Umständen auch dem spezielleren Bereich der Wirtschaftskriminalität zugeordnet werden könne. Das Wirtschaftsstrafrecht umfasse, so das tradierte Verständnis, die Gesamtheit der Straftaten, die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit unter Missbrauch des im Wirtschaftsleben notwendigen Vertrauens begangen werden und neben einer individuellen Schädigung auch Belange der Allgemeinheit berühren. Darunter fielen demnach insbesondere Straftaten, die das Vertrauen in den Wirtschafts- und Finanzverkehr sowie in staatliche Behörden erschüttern oder das Prinzip des fairen Wettbewerbs infrage stellen.
Anhand des Glücksspiels, das im Mittelpunkt des «Falschspielers mit dem Karo-Ass» steht, zeigte Prof. Papathanasiou sodann exemplarisch den Zusammenhang von Wirtschaftsstrafrecht, Compliance und Digitalisierung auf. Glücksspiele würden etwa wirtschaftsstrafrechtlich relevant, wenn sie ohne die dafür erforderliche Erlaubnis durchgeführt oder gar manipuliert würden, und seien demzufolge eindeutig im Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts anzusiedeln. Um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten, erstrecke sich der Geltungsbereich von Normen, die das Glücksspiel betreffen, auch auf Online-Glücksspiele, sodass unter anderem das Internet Tatort der Manipulation von Geldspielen sein könne. Die nähere Bestimmung des Tatorts stelle dabei nur eine der vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung an das Strafrecht dar. So sei insbesondere das weltweite Phänomen der Cyberkriminalität eine Folge der Digitalisierung. Cyberkriminalität bezeichne ganz allgemein Straftaten, bei denen Täter zur Tatbegehung Informations- und Kommunikationsnetze nutzen. Im engeren Sinne verstehe man darunter Straftaten, die sich gegen Computersysteme und Netzwerke selbst richten. Eine Anschlussfrage aus dem Bereich der Digitalisierung betreffe die Möglichkeit der Verwendung von KI-Systemen zu Strafverfolgungszwecken. Diese Frage sei momentan aufgrund der einschlägigen Verordnung der Europäischen Union hochaktuell. Der Lehrstuhl für Wirtschaftsstrafrecht, Compliance und Digitalisierung erörtere diese Fragestellungen im Hinblick auf Cyberkriminalität und KI im Strafrecht im Rahmen der nächsten Themenabende in diesem Herbst.
Die Lehrstuhlinhaberin schlug sodann den Bogen zurück zu Aspekten des Glücksspiels und erklärte, dass die Erlaubnis, Glücksspiele zu betreiben, mit der Einhaltung von gewissen Sorgfaltspflichten zusammenhänge. Dieses Desiderat der Regelkonformität von Unternehmen bezeichne man als Compliance. Die Regelkonformität werde durch präventive Massnahmen zur Vermeidung oder Bekämpfung strafrechtlich bedeutsamer Risiken erreicht. Für den Finanzort Liechtenstein seien, so Prof. Papathanasiou, Sorgfaltspflichtregulierungen besonders praxisrelevant. Zur Bekämpfung von Geldwäscherei, organisierter Kriminalität und Terrorismusfinanzierung sei aber Compliance allein nicht immer ausreichend, sodass über die normierten Sorgfaltspflichten hinaus noch weitere Regularien und insbesondere Strafnormen in Betracht kommen könnten, die zur Strafbarkeit einzelner natürlicher Personen, aber auch juristischer Personen, also Unternehmen, führten.
Zum Schluss der «Tour durch Wirtschaftsstrafrecht, Compliance und Digitalisierung» nahm Prof. Papathanasiou das Gemälde von George de la Tour zum Anlass, um auf die sogenannte Tokenisierung von Kunst einzugehen. Kunstwerke könnten über eine Blockchain «tokenisiert», also als virtuelles Gut auf den Markt gebracht werden. Hierbei könne es zu strafrechtlich relevanten Betrügereien, darüber hinaus aber auch beispielsweise zu Urheberrechtsverletzungen kommen, wenn ein Kunstwerk ohne Erlaubnis digitalisiert wird. Blockchain sei jedenfalls eine zentrale Figur der digitalen Gesellschaft, die nicht nur eine neue Phänomenologie kriminogenen Verhaltens bilde, sondern vielmehr für die Strafverfolgungsbehörden neue Herausforderungen mit sich bringe, aber auch neue Chancen biete.
Die Lehrstuhlinhaberin erwähnte dann noch einige der aktuellen und zukünftigen Projekte des Lehrstuhls. Sie stellte insbesondere die neue Tagungsreihe «Liechtensteinische Gespräche zum Wirtschaftsstrafrecht» vor: Ziel dieser halbjährlich stattfindenden Veranstaltung sei es, einen Ort des universitär-wissenschaftlichen sowie praxisorientierten Diskurses über aktuelle Themen des Wirtschaftsstrafrechts für das Fürstentum Liechtenstein zu schaffen. Die Ergebnisse dieser Tagungen würden zudem, angereichert durch Übersichten zu einschlägiger Rechtsprechung und Gesetzgebung sowie themenbezogene Aufsätze, in der gerade neu errichteten digitalen Zeitschrift «Gespräche zum Wirtschaftsstrafrecht» (abgekürzt: «GzW») veröffentlicht werden. Ferner biete ab Februar 2023 der neu eingerichtete Studiengang «Executive Master of Laws (LL.M.) im Wirtschaftsstrafrecht» Interessierten eine fundierte juristische Spezialausbildung, die über die Erläuterung der liechtensteinischen Regelungen zum Wirtschaftsstrafrecht hinaus noch rechtsvergleichende sowie vertiefte europa- und internationalrechtliche Kenntnisse vermittelt.
Das Strafrecht, so die abschliessenden Worte von Prof. Papathanasiou, fungiere an der Schnittstelle von Wirtschaftsstrafrecht, Compliance und Digitalisierung als Steuerungsinstrument der Wirtschaft. Es sei die kühne Hoffnung des Lehrstuhls, mit seiner Arbeit einen wissenschaftlichen und zugleich praktisch relevanten Beitrag zur strafrechtlichen Regulierung des Wirtschafts- und Finanzverkehrs zu leisten und eine fundierte Ausbildung in diesem Bereich anzubieten.
Nach der Begrüssung der zahlreichen Anwesenden durch den Rektor der Universität Liechtenstein, Mag. Markus Jäger, und die Leiterin des Instituts für Wirtschaftsrecht, Ass.-Prof. Dr. iur. Alexandra Butterstein, LL.M., betonte die Regierungsrätin Dr. Graziella Marok-Wachter, Ministerin für Infrastruktur und Justiz, in ihrer Ansprache vor Ort die Bedeutung des neuen Lehrstuhls für das Fürstentum Liechtenstein. Die Ausbildung hochqualifizierter Fachkräfte sei für die Positionierung und Weiterentwicklung Liechtensteins als Finanz- und Wirtschaftsstandort sehr wichtig. Der neue Lehrstuhl leiste hierzu einen wesentlichen Beitrag. Dr. Marok-Wachter gratulierte der Universität Liechtenstein, dass es ihr gelungen sei, eine derart kompetente und renommierte Professorin zu gewinnen, und wünschte der Lehrstuhlinhaberin viel Erfolg und viel Freude bei ihrem Wirken.