Jede Krise hat das Potenzial, Gewöhnliches in etwas Besonderes zu verwandeln. Roberto Villaseñor Zugasti (27) hat seine Liebe zu Pflanzen mit seiner Leidenschaft für die Gemeinschaft verbunden und direkt neben dem Studierendenwohnheim der Universität Liechtenstein einen grünen Flecken für alle geschaffen.
Roberto begrüsst uns mit einer Tasse Tee in der Hand und einem breiten Lächeln im Gesicht. Er hat vor kurzem sein Studium an der Universität Liechtenstein mit einem Master in Architektur abgeschlossen. Wir setzen uns auf zwei bequeme Bänke, die aus recycelten Paletten gefertigt wurden. Die Blätter über unseren Köpfen schützen uns vor der Sonne. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser Raum noch vor wenigen Jahren "absolut keinen Zweck" hatte, ausser dass er dem wild wachsenden Gras eine zyklische Existenz von Leben und Tod bot.
Foto: Kleine Schritte sind notwendig, um etwas Grosses zu erschaffen.
Robertos Liebe zu Pflanzen begann schon in sehr jungen Jahren, als ihm seine Grossmutter einen kleinen Bonsai-Baum schenkte. Die Pflanze entfachte einen Funken, der zum Architekturstudium an der "Universidad Iberoamericana" in seiner Heimatstadt Mexiko-Stadt führte. Zusammen mit seinen Freunden Carlos und Juan schrieb er seine Bachelorarbeit über Urban Gardening. Das Projekt, das hinter dieser Arbeit stand, blieb nicht unbemerkt. Die drei Freunde gewannen ein Stipendium, um ihr Studium in Liechtenstein fortzusetzen.
Der Kontrast hätte nicht grösser sein können. Eine pulsierende Riesenstadt, die sich über 60 km erstreckt und eine riesige Universitätsbevölkerung auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite ein verschlafenes Land zwischen der Schweiz und Österreich, in dem die Studierenden eine sehr enge berufliche Beziehung zu ihren Professoren haben.
Foto: Die ersten Gemüsesorten und Kräuter sind angepflanzt.
"Wenn du eine Pflanze kaufst, steckst du auch deine Persönlichkeit in diese Pflanze", sagt Roberto, während er seinen Tee schlürft. Als er nach Liechtenstein kam, war das Erste, was er zur Verschönerung seines Wohnheimzimmers kaufte, eine Pflanze. Dabei ist es nicht geblieben. Auch Pflanzen brauchen Gefährten. Aus einer Pflanze wurden zwei, aus zwei wurden drei und schon bald glich die ganze Etage einem Dschungel. Sehr zum Wohlgefallen der anderen Studierenden. Pflanzen wurden zum Türöffner, um neue Freunde zu treffen und über eine gemeinsame Leidenschaft zu sprechen.
Foto: Die Wohnheim-Gemeinschaft sorgt dafür, dass die Tische gerade stehen.
Als die Corona-Pandemie in Liechtenstein ausbrach, beobachtete Roberto, wie sich das Wohnheim von einem Ort voller Leben und Energie in ein freudloses Gefängnis verwandelte. Jeder schien ein starkes Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Sinn zu haben. Roberto und seine Freunde überlegten, wie die Architektur eine Gemeinschaft schaffen konnte, indem sie ein gemeinsames Ziel formulierten. Die Antwort lag direkt vor ihren Augen.
Foto: Unkraut-Erschöpfung. Zwei überwucherte Gemüsebeete säumen den Eingang ins Wohnheim.
Zwei überwucherte Gemüsebeete zierten den Eingang des Wohnheims. Roberto begann, kleine Veranstaltungen zu organisieren, bei denen die Leute zusammenkommen, Unkraut jäten und ein kaltes Getränk zu sich nehmen konnten. Dann kristallisierte sich die Idee heraus, dass der brachliegende Grasstreifen vor dem Wohnheim in einen Garten verwandelt werden könnte. Ein Treffpunkt, der Gemeinschaft schaffen könnte.
Foto: Mitinitiator Carlos mit zwei Mitbewohnerinnen.
Die Gemeinde war von dem Projekt begeistert. "Das Interessanteste an dem Garten ist, dass er nicht geplant wurde, sondern einfach passiert ist", erzählt Roberto. Über einen Zeitraum von zwei Jahren haben Studierende, Nachbarn und Freunde geschaufelt, gepflanzt, gestutzt, getrimmt und viel Herzblut in das Projekt gesteckt.
Eine fruchtbare Ergänzung des Kernteams war Thomas, "der Ingenieur". "Ohne ihn würden wir immer noch einen schiefen Tisch haben", fügt Roberto lachend hinzu. Die Materialien und Pflanzen wurden von der Gemeinde gespendet. Ausserdem stellte die Universität ein kleines Budget für das Projekt zur Verfügung, das für die drei Studenten zum obligatorischen "pro bono"-Gemeinschaftsprojekt wurde, um ihren Abschluss zu machen.
Foto: Fast alle Bäume und Pflanzen wurden durch die Gemeinde gespendet.
Khaki, Kiwi, Erdbeeren, Rosmarin, Grünkohl und Weintrauben säumen jetzt den Garten. "Ich finde es toll, dass die Leute denken, dass es ein öffentlicher Park ist, denn ein Garten sollte für jeden zugänglich sein." Roberto hofft, unter seinen Freunden und Mitbewohnern eine Kultur der Wertschätzung für den Garten geschaffen zu haben. Bald wird er das Wohnheim verlassen und einen weiteren kleinen Schritt in Richtung Arbeit für den berühmten Architekten Renzo Piano machen. Sein Traum ist es jedoch, "eines Tages zurückzukommen und zu sehen, wie alle Bäume gewachsen sind und wie irgendwelche Studierenden, die mich nicht kennen, sich an einem einladenden Ort vergnügen."
Wer mehr über das Projekt erfahren und den Garten geniessen möchte, sollte nicht zögern, das Studierendenwohnheim zu besuchen. Dort werden einem von jemanden die verschiedenen Pflanzen vorgestellt und das Handbuch mit allen Anleitungen gezeigt. Ein kleiner Garten Eden wartet auf Besucher!
Foto: «Es begann mit einer Pflanze in einem Zimmer und es wuchs einfach», Roberto.
Architektur studieren an der Universität Liechtenstein
Willst du wie Roberto mit Ihrer Eigeninitiative eine nachhaltige Gesellschaft mitgestalten? An der Universität Liechtenstein kannst du das! Der Masterstudiengang Architektur spiegelt die vielfältigen und komplexen Herausforderungen wider, vor denen die Architektur als gesellschaftlich verantwortlicher Beruf heute steht. Das Verständnis für und die aktive Auseinandersetzung mit kultureller Nachhaltigkeit stehen im Zentrum des Lehrplans. Hier findest du alle Informationen über den
• Masterstudiengang Architektur
• Bachelorstudiengang Architektur
Autor: Gianluca Purzer (Internationale Sommerakademie für Journalismus und PR 2022)
Dieser hervorragende Blogbeitrag von Gianluca Purzer ist eine seiner praktischen Arbeiten für die Internationale Sommerakademie für Journalismus und PR im Jahr 2022. Der vierwöchige Lehrgang an der Universität Liechtenstein in Vaduz richtet sich an journalistische Einsteigerinnen und Einsteiger sowie Young Professionals aus dem Vierländereck Deutschland, Österreich, Liechtenstein, Schweiz - und allen anderen deutschsprachigen Ländern. Die Ausbildung ist für die 12 Studierenden dank Stipendien der liechtensteinischen Regierung kostenlos. Nach erfolgreichem Abschluss nehmen sie 10 ECTS-Punkte mit nach Hause.
Titelbild: Roberto pflückt Johannisbeeren im fertigen Garten (Fotografin: Priska Wörl, 14.8.2022)