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„Auf Werte bauen?“

Die Leiterin der Akademie Bauhaus Dessau, Dr. Regina Bittner, sprach am zweiten Campus Gespräch der öffentlichen Reihe «Mehr Wert» an der Universität Liechtenstein über den Einfluss von Gebautem im Alltag und zeigte, dass auch die Architektur eine Migration kennt.

«Durch die Linse der Architektur werden gesellschaftliche Wertedebatten sichtbar, materialisieren sich und werden physisch manifest“, erklärte Dr. Regina Bittner zu Beginn ihres Vortrags. Auf die Integrationskraft von Architektur verwies sie anhand des Beispiels der europäischen Banknoten, die Fenster, Tore und Brücken in sieben Baustilen aus der europäischen Kulturgeschichte zeigen. An diesen Symbolen für Offenheit und Zusammenarbeit in Europa zeige sich die Schlüsselposition des baulichen Erbes, das mit seiner materiellen Schwergewichtigkeit und Dauerhaftigkeit gesellschaftliche Zusammenhänge verdeutlicht. „Kollektives Erinnern, ob in Denkmälern oder Bauten, stiftet Gemeinschaften und produziert Identität und Kontinuität“, so die Vortragende.

Architektur als Organisator einer Gemeinschaft

Aktuell befinden wir uns in einer Epoche des Umbruchs, und die klassische Moderne schien nicht mehr geeignet, um diesen neuen Gesellschaften eine Gestalt zu geben, so Bittner. Es fände ein Perspektivwechsel weg vom Objekt des Gebauten hin zur Praxis des Bauens als Prozess. Es sei kein Zufall, dass die Debatten um die neue gesellschaftliche Bindekraft der Architektur als konfliktreicher sozialer und kultureller Prozess der Formierung der gebauten Umwelt seit dem Millennium eine Renaissance erführen, führte sie aus, und dass visionäre Ansätze die an nomadisches Siedeln oder kooperative Modelle des Bauens anknüpfen, erneut Aufmerksamkeit erzielen.

Migration der Architektur

Im dritten Teil ihres Vortrags wandte sich Dr. Bittner der Migration der Architektur zu, die mit ihrer Beständigkeit die Gegenwart anderer Welten prägte und das Handeln in diesen gebauten Räumen beeinflusst. Neben den bekannten Bildern kolonialer Bauten, mit denen die Kolonialmächte ihrem Vormachtanspruch machtvoll Nachdruck verliehen, zeigte sie an einem anderen Beispiel anschaulich, dass es auch eine Beeinflussung in die andere Richtung gab: So hat etwa der «Bungalow» eine globale Karriere von bengalischen Bauernhaus – dem Bangla – zum globalen suburbanen Heim erlebt, und dabei vielfache kulturelle Adaptionen erfahren. Auch sei kaum jemand etwa bewusst, dass die heutigen Bahnhöfe mit ihrer Vielzahl an Geschäften und Lokalen in der Gastarbeiterbewegung der frühen 60er-Jahre ihren Ursprung haben. Damals trafen sich Gastarbeiter sonntags an den menschenleeren Bahnhöfen, um Landsleute zu treffen, sich auszutauschen und erste kleine Bars und Geschäfte wurden eröffnet, um ihnen die Zeit des Wartens auf Neuankömmlinge zu vertreiben. Bittner erklärt: «Im Zuge transnationaler Migration sind heute neue Formen des Siedelns und Bauens zu beobachten, die zwischen Kommen, Bleiben und Gehen changieren. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Herkunftsland und Ankunftsland schein obsolet geworden zu sein.»

Der Abend fand wie immer bei Campus Gesprächen seinen Abschluss bei einer Diskussionsrunde mit dem Publikum und weiterem Gedankenaustausch beim Apéro.