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Nachhaltige Wende wissenschaftlich begleiten

Für Peter Droege, Initiant und Vorsitzender des LISDAR, hat sich das seit 2008 immer weiter evolvierende Konzept bewährt. Nun ist er noch farbiger, internationaler und grösser geworden: 60 Sprecher aus aller Welt referierten über die Finanz- und Stiftungswelt, Bau- und Regionalentwicklung sowie Unternehmensmodelle und Informationssysteme.


Der Liechtenstein Kongress wird zum Davos der Nachhaltigkeit: er hat Anfang Mai an drei Tagen wieder Stiftungen, Finanzindustrie, Unternehmer, Architekten, Raumplaner, Umweltexperten, Informatiker, Politiker, Medien und Bürger zusammengebracht. Für Peter Droege, Initiant und Vorsitzender des Kongresses, hat sich das seit 2008 immer weiter evolvierende Konzept bewährt. Nun ist er noch farbiger, internationaler und grösser geworden: 60 Sprecher aus aller Welt referierten über die Finanz- und Stiftungswelt, Bau- und Regionalentwicklung sowie Unternehmensmodelle und Informationssysteme.

Interview: Steffen Klatt


Der Liechtenstein Kongress hat unter anderem Architekten, Investoren, Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler zusammengebracht. Warum gerade diese Berufsgruppen?

Peter Droege: Der Liechtenstein Kongress bringt diese diversen Gruppen zusammen, weil er gesellschaftlich und wirtschaftlich zentral relevante Themen der Nachhaltigkeit in drei thematisch verschiedenen aber verwandten Konferenzen bearbeitet. Es geht etwa um Themen des intelligenten Finanzflusses: Wie legen wir unser Geld an? Hier bestehen nun enge Verknüpfungen und Interessen mit nachhaltigen Anlagen, also in Städten, Bauten, Immobilien, Infrastruktur, Landschaft - auch Landwirtschaft. Und es geht um die Geschäftsmodelle, mit denen dies geschieht. Das grosse Thema der Informationssysteme ist heute ein zentraler Aspekt von Unternehmen und anderen Organisationen, aber auch ein Verständnis- und Kommunikationsmedium, mit dem man wissenschaftlich unsere existentielle Lage verstehen und Leute erreichen kann. Allen geht es um ein fundamentales Umdenken in einer Gesellschaft, die auf eine Barriere der nicht-erneuerbaren Ressourcen und eskalierende Klimakatastrophe zurast, und allen Teilnehmern wird die grosse historische Gelegenheit der neuen Zeit der nachhaltigen Entwicklung klar.

Wie gross war die Bereitschaft der Teilnehmer, über den Rand ihres jeweiligen Berufes hinauszuschauen?

Der Liechtenstein Kongress ist ein wissenschaftlich informiertes Ereignis mit Fokus auf wirtschaftlichen Fortschritt, denn es geht hier nicht um „grüne Konferenzen“, sondern um die zentrale Bedeutung und Richtung unsere Zivilisation. Unsere Teilnehmer sind bereits engagierte, aktive und erfolgreiche Menschen in diesen Bereichen. Viele der am stärksten Interessierten blieben auch alle drei Tage, obwohl jeder Tag auf bestimmte Interessen und Bedürfnisse zugeschnitten ist. Die Leute, die in ihren Branchen an vorderster Front stehen, sind bereits voll engagiert: wir sprechen auch um einen leuchtenden Teil der Wirtschaft, der bereits an die tausend Milliarden Franken an Umsatz wert ist jedes Jahr. Sie kommen zum Kongress, um von neuen Entdeckungen und Erfahrungen zu lernen, ob es sich Mission Investment im Klimabereich handelt oder um Philanthropie in Entwicklungsländer oder auch um Informationssysteme, die solche Geschäftsmodelle abstützen.

Der Liechtenstein Kongress richtet sich nicht nur an Wissenschaftler, sondern auch an Praktiker. Ist es sein Markenzeichen?

Wir betreiben an der Universität Liechtenstein nicht die „reine Wissenschaft“, die also theoretisch innerhalb ihrer eigenen Grenzen und Regeln operiert. Uns geht es um angewandte Wissenschaft. Die ganze Thematik der nachhaltigen Wirtschaft, der nachhaltigen Werte und auch des nachhaltigen Bauens bedarf der wissenschaftlichen Unterstützung und des wissenschaftlichen Denkens. So operiert auch jeder erfolgreiche Unternehmer gestützt auf harte Fakten und originale Erfahrungen.

Der Liechtenstein Kongress hat nun zum dritten Mal stattgefunden. Was war neu?

Neu war ein verstärkter Fokus auf Geschäftsmodelle und Geschäftsprinzipien. Letztes Mal hatten wir neben den baulichen und finanziellen Fokus einen scharfen Blick auf biodiverse, klimastabile regionale Räume und auf das Management von Landschaften und Landwirtschaft geworfen, die Basis unserer täglichen Existenz und zentrale Dimension im Wettlauf um eine würdige, gerechte, reichhaltige und dennoch klimaangepasste und emissionsfreie Überlebensperspektive; es ging dabei gerade auch um Erfolge nachhaltiger Raumplanung in unserer Region. Dieses Jahr haben wir uns mehr auf die organisatorischen, auch betriebswirtschaftlichen und system-intelligenten Formen der Wende konzentriert. Gleichzeitig hat auch die internationale Resonanz des Kongresses zugenommen. Es gab mehr Teilnehmer aus dem Ausland. Auch im Nachhinein hallt grosses Interesse nach. Daher bin ich sehr zufrieden. Das Konzept, an drei verschiedenen Tagen drei verschiedene Themenkomplexe anzusprechen, hat sich bewährt.

Wird es beim vierten Liechtenstein Kongress fortgesetzt?

Wir haben jetzt zwei Jahre Zeit, den nächsten Kongresses gut zu entwickeln und auf die Beine zu stellen. Es wird keine mechanische Wiederholung geben, wie auch der letzte Kongress nicht den vorhergehenden wiederholt hat. Der vierte Kongress wird inhaltlich und formell anders sein.

Dieser Liechtenstein Kongress ist der erste, der nach der Energiewende in Deutschland und der Schweiz stattgefunden hat. Hat der Kongress eine Botschaft an diejenigen, welche die Energiewende umsetzen?

Eine Energiewende hat noch gar nicht stattgefunden. Bisher hat es nur ein temporäres Umschichten der politischen Erklärungen gegeben. Der Ausstieg aus der Kernkraft wurde zwar in Deutschland nun zum zweiten Mal deklariert, hat aber de facto noch nicht stattgefunden. In der Schweiz wurde ein 20 Jahre währendes Auslaufmodell gewählt; das kann sich auch noch länger hinziehen, obwohl jeder Wissende weiss, dass die Atomindustrie weltweit keine relevante Perspektive hat. Das Ende der ebenso existenzraubenden Fossilverbrennungstechnologie ist ebenso unausweichlich. Mental und real leben wir jedoch noch immer in einer fossil-nuklearen Welt. Die weltweit am stärksten wachsende Stromquelle ist die Kohle - allerdings geht der Investitionstrend in die Gegenrichtung: dramatischer Wachstum bei den Erneuerbaren, starker Rückgang bei der fossilen Stromproduktion, und praktisch null private Investitionen in Atomkraft. Die Vertreter der Kernkraftindustrie haben eine globale PR-Kampagne angekurbelt. Sicher ist die Energiewende in einigen Ländern im Gang, und wo sie läuft, läuft sie dynamisch voran, manchmal stotternd aber stetig: so hat der deutsche Bundesrat letzte Woche das politisch und fossil-wirtschaftlich motivierte Herunterfahren der Solareinspeisevergütung gestoppt.. Aber weltweit ist es immer noch weitgehend „business as usual“

Was muss getan werden, um die Energiewende zu beschleunigen?

Wer sich heute schon als Investor für eine echte Energiewende weg von gefährlichen alten Modellen engagiert, der tut dies nicht oder nicht nur, weil er grün denkt. Sondern er oder sie tut das, weil er darin die Zukunft erkannt hat. So hat die Energiewende bereits ein massive, in mancher Hinsicht vielleicht unaufhaltsame finanzielle Dynamik. Allerdings scheint die fossile und die nukleare Energieindustrie vielen finanziell noch immer als stärker - nur weil sie historisch etablierter aussieht. Dabei ist es unvermeidlich, dass sich die Energieproduktion in Richtung auf erneuerbare Quellen bewegt, also weg von der Richtung der Vergangenheit. Die Frage ist, ob diese Talfahrt rechtzeitig in die neue Richtung gesteuert werden kann.

Der Finanzplatz beteiligt sich am Liechtenstein Kongress. Wächst sein Interesse an nachhaltigen Themen?

Auf jeden Fall. Die global aktive Bank Kaiser Partner ist seit 2010 einer unserer grossen Sponsoren, und aktiv im „Responsible Investing“. Es gibt kaum eine grössere Bank in Liechtenstein, die nicht an diesen Themen interessiert ist. Viele haben Mitarbeiter zum Liechtenstein Kongress geschickt. Der Liechtensteiner Bankenverband ist an den Themen auch stark interessiert. Der Finanzplatz nimmt die Fragen der Nachhaltigkeit ernst. Auch die Regierung unterstützt den Kongress.

Was erwarten Sie von Rio plus 20, dem UN-Gipfel zur Nachhaltigkeit im Juni?

Das einzige Ergebnis, das man mit Sicherheit erwarten kann, ist die Organisation eines Rio plus 21. In den vergangenen 20 Jahren hat es leider keinen nennenswerten Fortschritt gegeben. Diese grossen internationalen Konferenzen bringen viel an Deklarationen und befriedigen damit die Bedürfnisse der Teilnehmer. Aber es können keine Taten folgen, kein nennenswerter Fortschritt, da hier immer auf den niedrigsten gemeinsamen Nenner von Verteidigern aber auch Gegnern des Fortschritts gezielt wird. Das ist auch bei den Klimakonferenzen so. Das wirkliche Handeln findet immer auf lokaler und regionaler Ebene statt, in der Wirtschaft, in der Gesetzgebung - im konsequenten Bekenntnis zur Umsetzung von Einsichten und Möglichkeiten, die bereits seit einer Generation bekannt sind.

Und hier liegt wohl der eigentliche Wert der grossen Rio- und Kyoto-Konferenzen: sie spornen zu lokalen, nationalen und industriellen Anstrengungen an, gerade da ihr global sichtbares Versagen mittlerweile einen dramatischen Signalwert erreicht hat: denn in dieser noch nie dagewesenen Situation funktionieren die alten Mechanismen nicht mehr.


Zur Person:
Professor Peter Droege ist Lehrstuhlinhaber für Nachhaltige Raumentwicklung an der Universität Liechtenstein. Er hat den Liechtenstein Kongress für nachhaltige Entwicklung und verantwortungsbewusstes Investment konzipiert, organisiert und geleitet, der vom 2. bis zum 4. Mai zum dritten Mal in Vaduz stattfand.
Droege ist Präsident von Eurosolar, dem europäischen Verband für erneuerbare Energien. Er hat an der Technischen Universität München sowie am Massachusetts Institute of Technology studiert und an den Universitäten Tokio, Sydney und Newcastle gelehrt. Er ist Gründungsmitglied und General Chairman des Weltrats für Erneuerbare Energien.